Brücken bauen zu Andersdenkenden in Zeiten von Corona

Teil 2: Anders Zuhören – Tipps für Gespräche, in denen Neues entsteht

Dieser Beitrag ist die Fortsetzung des 1. Teils zum Thema:
Ein Riss geht durch die Gesellschaft – was können wir tun.
Tipp: auch die zahlreichen Kommentare sind es wert gelesen zu werden.

Es wird in Bälde auch einen dritten Teil geben zum Thema „Angst, Selbstfürsorge und die Grenzen des Brückenbauens„.

 

„Es macht keinen Sinn …“

„Es macht keinen Sinn, ich dringe einfach nicht zu ihr durch.“

Vermutlich kennst auch du das, dass du im Gespräch mit einer andersdenkenden Person zu diesem Schluss kommst. Dass ihr aneinander vorbeiredet, oder dass sich gar etwas verhärtet zwischen euch.

Dann kannst du dich fragen: auf welche Art und wie tief hörst du eigentlich zu? Bist du bereit, ernsthaft zu erfahren oder gar zu spüren, was dein Gegenüber bewegt? Oder willst du die andere Person eigentlich von etwas überzeugen, vielleicht sogar von der „Wahrheit“?

Otto Scharmer unterscheidet vier Ebenen des Zuhörens – er nennt als entscheidendes Kriterium die Qualität der Aufmerksamkeit.

Wie hörst du zu?

Nimm dir doch kurz Zeit, rufe dir schwierige Gespräche mit andersdenkenden Personen in Erinnerung und reflektiere: Auf welcher Ebene hast du jeweils zugehört?

Natürlich ist es auch von deinem Gegenüber abhängig, inwiefern eure Kommunikation gelingt – du kannst einen „schöpferischen“ Dialog nicht alleine herstellen, sondern das ist ein gemeinsamer „Tanz“.

Aber: wenn du es zum Beispiel schaffst, deinem Gegenüber echte Empathie entgegenzubringen, dann erhöhst du massiv die Chance, dass sich die andere Person öffnet und schließlich auch dir wirklich zuhört, sodass ein echter Dialog stattfinden kann. Es wird nicht immer und mit jeder Person „funktionieren“ – aber es erhöht definitiv die Erfolgsaussichten für gegenseitiges Verständnis und dass sich dadurch vielleicht wirklich etwas verändert – und zwar sowohl in der anderen Person als auch in dir.

Verstehen heißt nicht zustimmen

Immer wieder erlebe ich in schwierigen Gesprächen diesen magischen Moment: Wenn sich meine Gesprächspartnerin ernst genommen und dann „gehört und gesehen“ fühlt in Bezug auf das, was ihr wichtig ist … dann lockert sich etwas. Die Emotionen und der Körper entspannen sich und das „Feld“ zwischen uns wird weicher, durchlässiger.

Vor allem wenn uns die Menschen am Herzen liegen, mit denen wir eine Meinungsverschiedenheit haben, ist unser Wunsch nach „Verstanden werden“ von geradezu brennender Wichtigkeit. Vor allem wenn wir wirklich emotional sind und „in unserem Film hängen“, dann entsteht in uns oft die Bereitschaft oder Kapazität, die jeweils andere Sichtweisen zu hören, erst wenn unsere Anliegen und Bedürfnisse gewürdigt werden.

Andere tief zu verstehen heißt nicht, dass wir inhaltlich derselben Meinung sein müssen. Ganz und gar nicht. Wie beispielsweise Elisabeth in ihrem Kommentar erzählt, hat sie Menschen von „beiden Seiten“ zugehört und zutiefst verstanden.

Ein „ich verstehe, dass das für dich so ist“ heißt nicht, dass es bei mir auch so sein muss. Ein Anliegen bzw. Bedürfnis zu würdigen heißt auch nicht, dass wir es erfüllen müssen oder dass wir einer konkreten Umsetzungs-Strategie zustimmen (dazu auch weiter unten).

Und trotzdem: Meine vielfache Erfahrung ist, dass es alleine schon einen Unterschied in der Qualität des Gespräches macht, wenn ich innerlich um dieses Verstehen der dahinterliegenden Anliegen des Gegenübers ringe, auch wenn ich das dann vielleicht gar nicht ausspreche.

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Common Ground finden

Eine der hilfreichsten Schlüsselunterscheidungen aus der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg ist für mich die Differenzierung von Bedürfnis und einer Strategie zur Erfüllung eines Bedürfnisses.

Wir streiten oft auf der Ebene konkreter Strategien, auf die wir uns fixieren. Zum Beispiel ob wir Masken tragen sollen oder eben nicht, ob sie uns schützen oder ob sie unserer Gesundheit schaden. Für jede Seite gibt es Argumente (und viel Halbwissen) – in der Diskussion darüber können wir uns ob der scheinbar gegensätzlichen Positionen richtig verheddern, sie kann emotional schwer eskalieren.

Die anderen Perspektiven in Lösungen integrieren?

In diesem Beispiel kann uns die oben erwähnte Differenzierung helfen, unsere Gemeinsamkeiten zu erkennen, was die Anliegen / Bedürfnisse hinter diesen Strategien betrifft. Auf der abstrakteren Ebene der Bedürfnisse können wir so einen „Common Ground“ finden.

Beiden Seiten geht es beim Umgang mit den Masken um universelle menschliche Bedürfnisse wie Gesundheit und auch um eine Form von Rücksicht; ja sogar Freiheit ist uns allen wichtig.

Diese gemeinsamen Anliegen beim Gegenüber erstmal auch anzuerkennen, dies zu würdigen, hilft für die Verbindung zwischen uns. Wenn wir die Basis haben, „ja das wollen wir beide“ – dann können wir eher sprechen über Unterschiede: was wir wirklich unter Freiheit verstehen, oder über mögliche Fakten zum Thema.

Das Ernstnehmen der unterschiedlichen Anliegen kann zu neuen, differenzierteren Strategien und zu Lösungen führen, die viele Perspektiven integrieren und dadurch weiser sind. Das hab‘ ich hundertmal erlebt in meinen Gemeinschaftsprojekten (wie Pomali, wo ich lebe) – auch auf einer politischen Ebene ist so etwas möglich (z.B. mit gut moderierten Bürgerräten von Mehr Demokratie e.V.).

Wie transformieren wir eigene Urteile?

Manchmal stehen uns unsere Urteile, die wir über andersdenkende Menschen haben, im Weg. Nehmen wir zum Beispiel „Verschwörungstheoretikerin“ – oder andererseits „unkritischer Mitläufer“. Wenn ich das in mir trage und jemanden pauschal damit abwerte, dann behindert das einen freien, wertschätzenden Dialog – dann bleibe ich auf der Ebene des Downloadings im Modell von Otto Scharmer.

Wenn wir das für uns erkennen, dann hilft es, wenn wir eine innerliche Lockerungsübung machen: unsere eigenen Anliegen und Bedürfnisse erkennen, die hinter diesen Urteilen liegen – was uns hier wichtig wirklich ist.

Zum Beispiel kann mir wichtig sein, dass „sich Menschen differenziert informieren“, „sich Quellen aussuchen, wo Themen von mehreren Seiten betrachtet werden“, wo „ein klarer Unterschied gemacht wird zwischen Glauben und Wissen“, wo „komplexe systemische Dynamiken nicht auf einfache Antworten mit Schuldigen oder Sündenböcken reduziert werden“, etc.

Wenn wir unsere Werte und Anliegen hinter unseren Urteilen erkennen, dann hilft uns das, unsere Urteile zu „übersetzen“. Wir kommen von fixen Schubladen (dass die andere Person eindeutig ein X ist) hin zu einer prozessorientierteren, flüssigeren, differenzierteren Sprache. Wenn wir diese „innere Übersetzungsarbeit“ geleistet haben, dann können wir eher eine Brücke bauen zu andersdenkenden Menschen, die sonst mein hartes inneres Urteil spüren und sich ebenso verhärten.

Was denkst du dir dazu?

Wie geht es dir mit zuhören? Mit deinen Urteilen über andere?

Ich freu mich sehr über deine Impulse dazu. Bitte hinterlasse sie unterhalb in einem Kommentar!

Martin Kirchner ist Mitgründer der Pioneers of Change in Österreich