Wir haben die Wahl. Und was bringt das?

Wir wählen. Das Land spaltet sich. Zwei Kandidaten, zwei Pole. „Ich wandere aus! In so einem Land kann ich unmöglich weiter leben!“ ist eine häufige Reaktion von Menschen, die der Aufstieg des potentiellen Präsidenten mit Burschenschaftshintergrund schockiert und betroffen macht.

Doch: Was passiert in und mit uns, wenn wir schimpfen, abwerten oder gar auswandern? (wohin eigentlich?).  Auch in der Pioneers Community haben wir uns mit Reaktionen auf die Bundespräsidentenwahl beschäftigt. Was können wir tun? Sind wir wirklich so machtlos und reine Beobachter*innen dieses enormen Rechtsrucks? Was wäre, wenn wir nicht hängen bleiben im aburteilen und schubladisieren („Nazis“)? Wenn wir klar in der Sache und doch einfühlsam gegenüber den Befindlichkeiten und Bedürfnisse wären? Und in Dialog treten?

„Mir macht die Entwicklung bei uns, in Europa sehr ungute Gefühle. Ich hab das Gefühl, dass „wir“ irgendwas machen müssten. Zum Beispiel mit den vielen Menschen, die diese rechtsgerichtete Partei wählen, in Kontakt treten. Es gibt aber in meinem Leben so gut wie keine Berühungspunkte. Diese Distanz zu „den Anderen“ kommt mir sehr bedenklich vor, in mir und im Gespräch mit anderen sammle ich langsam Ideen, wie ich sie ein Stück überbrücken könnte.„, schreibt Irmgard.

Hier kannst du Anna Geigers Geschichte lesen, die in ihrem kürzlich eröffneten Schulbuffet Echt.Im.Biss mit vielen Menschen in Kontakt kommt und sie erfolgreich davon abhält Norbert Hofer zu wählen, einen Beitrag von Marc Neureiter, der in einer HTL unterrichtet, die Geschichte von Stephanie Steyrer, die einfach zum Stammtisch der Identitären Bewegung gegangen ist, um einen Austausch zu beginnen und Martin Kirchners Statement von Macht und Wirkung.

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Anna und der Schulwart

von Anna Geigerecht.im.biss Baustein

„Ich bin bis ins Mark erschüttert von diesem Wahlergebnis. Vielleicht bin ich naiv, vielleicht habe ich zu wenige Jahre am Buckel, zu wenig Politikverdrossenheit in den Knochen um mich mit einer derartigen Watsche abfinden zu können. Mein Freund spricht von Waldheim, von Donnerstagsdemos und Haider – auf den Wähler / die Wählerin ist kein Verlass. Mag sein. Trotzdem kann und DARF ich mich nicht damit abfinden, dass unser nächster Bundespräsident unter Umständen ein schlagender Burschenschafter ist, dem das Großdeutsche Reich als Vision ins Programmheft geschrieben ist (wenn auch nur zwischen den Zeilen), der mit Deutschlandscherpe am WKR-Ball sitzt, dem das Who-Is-Who der rechtsradikalen Szene in Europa auf die Schulter klopft, der sich mit Kornblume im Knopfloch als 3. Nationalratspräsident angeloben ließ, der am Tag vor Bekanntgabe seiner Kandidatur gesagt hat, er sei zu jung und unerfahren für das Amt des Bundespräsidenten, der am Gängelband seines Obmanns hängt und nur wehmütig für das Präsidentenamt sein blaues Parteibuch niederlegt.

Was tue ich?

Unser Buffetfenster ziert seit Montag der Spruch „Für für, gegen gegen – Gib Rechts keine Chance“. Wir sprechen mit allen – SchülerInnen, ob wahlberechtigt oder nicht, LehrerInnen, Schulwarten, Putzfrauen, über die Wahl. Unser Schulwart ist bis heute der einzige, der uns gegenüber zugab, dass er Hofer gewählt hat und ihn nochmals wählen wird. Ich war am Montag wirklich durch den Wind, völlig entzaubert von unserer politischen Landschaft, sah in jedem 3. der am Fenster auftauchte einen potenziellen Hofer-Wähler (es fällt mir zugegebener Maßen schwer, ihnen Empathie entgegen zu bringen, weil ich mich vor ihrer Macht fürchte, Hofer an die Spitze unseres Landes zu setzen). Jedenfalls habe ich mich lang mit unserem Schulwart unterhalten, ihm versucht zu erklären, dass Protest gegen die derzeitige Politik in jedem Fall angebracht ist, auch dass die Angst vor den Flüchtlingsströmen und dem Umgang mit dieser Situation gerechtfertigt ist, aber dass es nicht die Lösung sein kann, einen bekennenden Burschenschafter zum Präsidenten zu machen. Ich habe ihm auch gesagt, dass ich zwei Nächte lang kaum geschlafen habe, weil mich die Vorstellung eines blauen Präsidenten, womöglich mit einem blauen Kanzler als Folge, so sehr ängstigt, dass ich ernsthaft überlege, ob ich in einem solchen Land noch leben möchte. Heute ist er zum Kaffee gekommen und er hat gesagt, dass er über Nacht viel recherchiert hat und über das nachgedacht hat, was wir gesprochen haben und er wird Hofer seine Stimme nicht geben. Wenn er überhaupt zur Stichwahl geht, dann wählt er schweren Herzens VdB.

Ich will, mit allem was in meiner Macht steht, Hofer verhindern. Ich möchte mich aber auch nicht verschließen vor den Menschen, die in ihm die Lösung für unsere Probleme sehen, sondern ihnen Gehör schenken und mit dem besseren Argument für VdB plädieren. Vielleicht kann mir ja jemand die Angst vor einem blauen Präsidenten nehmen. Falls es nämlich so weit kommt, weiß ich nicht, wie ich damit umgehen soll. Die Vorstellung ängstigt mich zutiefst. Blau blau blau die Österreichkarte… Wenn über 50% der WählerInnen der FPÖ ihre Stimme geben, ich … ich weiß nicht, wie ich damit umgehen würde, sollte es soweit kommen.“

Vom Integrieren  & Verurteilen

von Marc Neureiter GP marc

„Ich glaube ich sage nix neues, wenn ich meine, dass die Sozial- und Integrationspolitik gescheitert ist. Schwarz-Blau an vorderster Front mit den den heiligen drei „Werten“ des Neoliberalismus: Austerität, Privatisierung, Sozialabbau. Und von Anfang an die Passivität bei der Bemühung um Integration, das heißt, dass sich Menschen verschiedenster Herkunft verstehen lernen – dieser Prozess hat nicht in dem Maß stattgefunden, wie es sein sollte. Und darüber wird geschwiegen, weil man Angst hat, dass die Tatsachen von der extremen Rechten her aufgegriffen werden. Durch das Schweigen verwehrt man sich jedoch der Möglichkeit, erst etwas zur Verbesserung, zur konstruktiven Integration beizutragen. Die Sachen WERDEN verschwiegen und sie WERDEN instrumentalisiert. Aber BEIDES führt weg von der Wahrhaftigkeit, die es in der Diskussion braucht. Ich kann die Worte „Ängste ernst nehmen“ gar nicht mehr hören, weil sie einfach nicht ernst gemeint sind. Die Gründe für die Ängste werden ausgeblendet. Ich persönlich habe keine Angst vor den „Ausländern“, die nach Österreich kommen, sondern vor den Scheuklappen, die wir uns aufsetzen – sowohl in der Politik als auch in der Bevölkerung. 

Man sieht in den Mittelschulen in den Städten, wie eine Generation an isolierten, hoffnungslosen Jugendlichen heranwächst; Zielgruppe von Radikalisierung und Kriminalität – vorrangig Menschen mit Migrationshintergrund. Ich halte dieses Thema für ein relativ unterbelichtetes und dieses Unaussprechbare, Tabuisierte für den eigentlichen Grund der Angst bei vielen Menschen, wohl vorrangig bei FPÖ-Wählern, die das bevorstehende allgemeine Chaos, das uns blüht, wenn wir nicht zu einer verbindenden Verständigung kommen, schon riechen und vorsorglich versuchen, diese Angst zu artikulieren (mit ihrer Wählerstimme). Die Medien schaffen es nicht, die Diskussion auf die notwendige Diskussionsebene zu heben, auf der sich Gesellschaft und Politik in dieser Hinsicht reflektieren könnten, weil es uns das Scheitern auf diesem Gebiet vor Augen führen würde – seit Generationen.
 
Die Diskussion findet also nicht statt, weil wir Angst vor einer Instrumentalisierung von rechter Seite haben. Die Furcht bekommt Vorrang vor der Wahrhaftigkeit. Was das bringt, sieht man jetzt: Der viel besagte Rechtsruck findet trotz des Ausblendens kritischer Stimmen statt und Politiker der „Mitte“ fangen an, den Rechten nach dem Mund zu reden. Damit haben wir beides verloren, nämlich sowohl die Wahrhaftigkeit als auch die Positionierung in der konstruktiven Mitte.
 
Wenn ich einen FPÖ-Wähler treffe – und ich lebe auf jeden Fall in Nachbarschaft mit solchen –, dann kann ich auch nichts anderes tun, als ihnen sagen, dass ich ebenfalls Sorgen habe (nicht Angst!). FPÖ und Hofer wählen ist keine Lösung, aber wir lassen uns von der Politik halt auch für blöd verkaufen, weil wir ja selbst nicht besser können, als entweder Schwarz oder Weiß zu argumentieren – entweder „refugees welcome“ oder „not welcome“. Warum sollte die Politik besser sein?
 
Wir müssen bei uns selbst ansetzen. Hören wir bitte auf, FPÖ-Sympathisanten zu VERURTEILEN. Mit einer Tabuisierung („wie kann man nur gegen Flüchtlinge sein?“) geben wir diesen Menschen nur die Bestätigung, dass viele Menschen bei zukünftigen Herausforderungen (wie den erwähnten) wegschauen. Wir können auch anders Menschen zum Umdenken verhelfen: Treten wir in einen Dialog miteinander und lassen wir Menschen aller politischer Haltungen die Toleranz angedeihen, die wir auch Menschen aus anderen Ländern gegenüber walten lassen. ECHTE Toleranz, Akzeptanz und Menschlichkeit gibt es nur bedingungslos. Sätze wie „mit diesen Leuten brauch ich gar nicht anfangen zu diskutieren“ sind verbale Herabsetzungen, Ausgrenzung, quasi verbaler Gewalt. Wenn diese Worte benutzt werden tut mir das inzwischen einfach weh, genau so wie ich mich verletzt fühle, wenn andere Menschen so über mich denken. Vertrauen und Austausch zwischen den Menschen hingegen, diese Werte einen uns, machen uns heil ( = „ganz“), versetzen uns in die Position, Lösungen zu finden, die Spaltung zu überwinden, die Standpunkte des jeweils anderen (!!!) zu verstehen.
 
Und wer glaubt, mit dieser Haltung spielt man nur und einfach den Rechten in die Hände, der hat die tiefe Weisheit, die hinter dem Handeln und Wirken von Mandela, Gandhi und King steckt, möglicherweise noch nicht (zur Gänze) verstanden.
 
Es geht um den absoluten Verzicht auf Gewalt in jeglicher Form.“

Von Macht und Wirkungtrommel

von Martin Kirchner:

„Wenn ich auf Ungarn und Polen schaue, wo ich SEHR progressive und weltoffene Leute kenne und bruchstückhaft mitkriege, wie sich die „Orbanisierung“ dann konkret auswirkt, dann wird mir bange. Insofern finde ich sehr wohl, dass es einen Unterschied macht, WER aus welcher Haltung und mit welchen Werten an mächtigen Entscheidungshebeln sitzt – und dass im kleinen und gesamthaft das Wählen doch einen Unterschied macht.“
Und sonst glaub ich ja fest, dass das Aufbäumen der rechtskonservativen Mentalität „nur“ eine Welle ist, die gefolgt wird von einem weltoffenen und großherzigen Bewusstsein – frei nach ML. King „the arc of the universe bends towards justice, freedom, sustainability – and happiness“.

von Stephanie Steyrer

Ich träume von einem WIR-ZUSAMMEN

„Ich träume von einem WiR-ZUSAMMEN. Ich träume von Menschen, die sich mit Vertrauen und Respekt begegnen. Ich träume wir.zusammenvon…“

Ich habe das Projekt WiR-ZUSAMMEN gestartet. WiR-ZUSAMMEN in Österreich, das meint uns ALLE, die Linken, die Rechte, die Ausländer und *innen, die die die. Ich bin gegen niemand, sondern FÜR uns alle zusammen.
Am Dienstag war ich beim Stammtisch der Identitären Bewegung in Wien. Ich bin allein dort hin um mit den Menschen die dahinter stehen in Begegnung zu treten, kennen zu lernen, denn darin liegt der Beginn ZUSAMMEN leben/von sich-gegenseitig ins eigene Leben integrieren.
Ich habe mich etwas unwohl gefühlt, fremd, allein. Doch habe ich versucht offen zu sein. Wäre ich den Menschen außerhalb des Rahmens begegnet, wäre mir eine Begegnung bestimmt leichter gefallen. Aber jetzt bin ich hier, in ihrem temporären Schutzraum, wo Austausch stattfindet, wo viele Geborgenheit, SIcherheit und Gleichgesinnung wahrnehmen und wo Aktionen geplant werden, die sie selbstbestimmt, mächtig, aktiv fühlen lassen und durch welche sie Aufmerksamkeit und Gehör finden.

Ich möchte ermutigen, den anderen mit offenen Herzen zu begegnen, nach Gemeinsamkeiten und Verbundenheit zu suchen.
Links oder Rechts, Böse oder Gut, etc. ist keine Bestimmung, wir alle sind wandelbar.

Wie könnte UNSER GEMEINSAMER Traum vom Zusammen Leben in Österreich sein?
Austausch darüber: ssteyrer@wir-zusammen.at
31.5.    17.30
meine eigenen Grenzen. in Begegnung kommen. out of the bubble

Hinweise:

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Wählen bringt eh nix“ ist auch eine Meinung, die man in alternativen Kreisen findet. Bei allem Verständnis für Systemkritik – wir sind davon überzeugt (auch mit Blick zu unseren Freund*innen in Polen und Ungarn): es macht sehr wohl einen Unterschied, welche Kräfte an der Macht sind. Und wie frei auch wir agieren können mit unserem Engagement für einen Wandel.
Unsere Aufforderung deshalb –  gerade für dieses Mal: Geh bitte wählen!
Einen Präsidenten der für eine freie Gesellschaft steht. Besorg dir hier deine Wahlkarte oder geh einfach hin am 22.Mai.