Dem Herzen folgen
– ein Egotrip?

Potentialentfaltung: Luxusthema oder
Voraussetzung für einen gelingenden Wandel

Ist es ein Egotrip in unserer satten Konsumgesellschaft, sich um das „eigene Potenzial“ zu kümmern? Den eigenen Träumen nachzugehen? Ist die Frage nach dem Sinn ein „First-World-Problem“ von Menschen, die sonst keine Probleme haben?

Vor einiger Zeit habe ich im Newsletter nach Rückmeldungen dazu gefragt. Zu den zahlreichen Antworten habe ich mir zusätzlich Gedanken gemacht und daraus entstanden ist dieser Beitrag.

Warum mich diese Frage beschäftigt…

Seit 2010 begleiten wir Menschen im LERNgang, herauszufinden, was wirklich IHRES ist und wie sie ihr Potenzial Schritt für Schritt freilegen können.

Und das ist wunderbar.

Wunderbar, denn das bringt mehr Lebendigkeit ins Leben – auch nach dem schönen Spruch von Howard Thurman:

Frage nicht, was die Welt braucht.
Frage dich selbst, was dich lebendig macht,
und gehe und tue das.
Denn was die Welt braucht, das sind Leute,
die lebendig geworden sind.

Das ist ein wunderbares Plädoyer für Potenzialentfaltung.

Und gleichzeitig birgt es einen Widerspruch: dass wir uns politisch, sozial, ökologisch für einen Wandel in der Welt engagieren. Und dass wir andererseits das tun, wonach sich unser Herz sehnt, was uns wirklich gut tut.

Was hat Potenzialentfaltung mit „Weltverbesserung“ zu tun?

Gerhard Frank hat mir dazu geschrieben: Persönliche Entfaltung und ein kleiner ökologischer Fußabdruck sind zwei verschiedene Angelegenheiten. Sie sind nicht unbedingt miteinander kausal verbunden.

Da mag Gerhard schon recht haben, denn …

Im einen Extrem kann ich als Ökofundi in den großen Kampf ziehen und dabei selbst sehr unglücklich sein oder ausbrennen, weil ich mein wahres Wesen dabei übergehe, mehr im Kopf zu Hause bin als in meinem Herzen.

Oder im anderen Extrem kann ich als „digitaler Nomade“ zwischen Bali und den Bahamas herumjetten und meine persönliche Entfaltung in einem „siebenstelligen Herzensbusiness“ vermarkten. Dann gehe ich zwar mit großer Lebendigkeit meinem persönlichen Traum nach. Doch gleichzeitig bin ich dadurch Teil von globalisierten Ausbeutungsstrukturen, von denen ich bequem profitiere und die ich mit meinem Lebensstil noch verstärke.

Nichts gegen Träume, aber …

Du merkst es vielleicht schon beim Lesen:

Ich persönlich habe eine kleine Aversion gegen diese materialistische und selbstbezogene „Lebe deinen Traum“-Haltung.

Ja, zunehmende Lebendigkeit ist ein hilfreicher Kompass am Entwicklungsweg. Aber mir geht es um eine Lebendigkeit, die auch mit dem Schmerz der Welt verbunden ist und Werte von Ökologie und Gerechtigkeit kongruent in die Praxis umsetzt.

Und da kommen wir schon zum nächsten Problem:

Denn wenn ich um den Schmerz der Welt weiß und mit diesem verbunden bin, inwieweit kann ich es mir dann überhaupt guten Gewissens in meiner kleinen Welt wohlig einrichten?

Egoismus und Altruismus

Christina meint:

Genau dieses Spannungsfeld ist gerade mein Thema, dieser scheinbare Widerspruch zwischen „ich darf tun, was für mich gut ist“ und „gesellschaftlicher Verantwortung“.

…Ums eigene Potenzial kümmern und den Träumen folgen – für mich selbst schaffe ich das oft schwer. Da hängen wohl noch alte Glaubenssätze im Gebälk, die mir ins Ohr raunen „Egoistin…darfst du gar nicht…um dich geht‘s nicht, du bist nicht wichtig…und nicht genug“.

Ich kann Christinas Worte gut nachvollziehen.

Sie schrieb mir dazu noch zwei wichtige Zitate, einer vom Dalai Lama:

„Der Weltfrieden beginnt im eigenen Herzen“

und einen von ihrer Therapeutin:

„Du kannst nur aus einer gefüllten Schale geben. Wenn du leer (ausgebrannt) bist, kannst du auch aus nichts schöpfen, um es zu verteilen“.

Cyrill beschreibt diesen Aspekt auch:

Für mich ist es absolut essentiell in Verbindung mit dem eigenen Wesen zu kommen und sein wahres Potential zu entdecken und zu entfalten.  Ohne diese Verbindung nach Innen entsteht ein Engagement im „Helfersyndrom-Modus“ und das führt wiederum zu Ausbeutung – der eigenen Ressourcen und jene der anderen (…)

Zu guter Letzt hat der gute Peter König (Summit-Speaker)  das in seinem Email auf den Punkt gebracht:

Es ist klar, ein gesunder Egoismus ist die Basis für einen gesunden Altruismus – und natürlich auch umgekehrt. Altruismus ohne Egoismus ist paradoxerweise sehr egoistisch, aber nicht auf eine gesunde Weise!

Sowohl als auch…

Für uns bei Pioneers of Change geht es also um die Synthese, um „was macht dich wirklich freudvoll und lebendig“ und „was macht wirklich Sinn in unserer Welt“. Und diesen Platz, diese Aufgabe für sich gefunden zu haben (der „Sweet Spot“ im Ikigai) ist vielleicht das wahre Glück im Leben.

Und dabei muss es nicht immer um „große Weltveränderungsprojekte“ gehen, Eva meint dazu

Ich glaube, dass wir gemeint sind, wir selbst zu sein. Und dann, wenn wir ganz wir selbst sind, sind wir wirklich kraftvoll und können ganz viel bewegen, für die Menschen, die mit uns leben und in der Welt. Das hat eine MEGA-Hebelwirkung, wie so eine stille Revolution. Weil wir einfach Vorbild sind.

„Aus dem Herzen leben“

In diesem Sinne geht es also um innere Befreiung. Dass wir Ängste und Hindernisse überschreiten, unsere innere Verbindung stärken, der Stimme unseres Herzens „gehorchen“ und so immer mehr in unser Potenzial hineinleben.

Was mich dazu beschäftigt ist die Aussage der GFK-Lehrerin Miki Kashtan, ihr geht es nicht um innere Heilung, sondern um innere Befreiung. D.h. es geht nicht darum, uns zuerst nur um unsere persönliche Entwicklung / Heilung zu kümmern und erst wenn das „erledigt“ ist, dann können wir uns für gesellschaftliche Themen engagieren. Innen und außen sind immer und jederzeit miteinander verwoben.

Und wenn wir mit unserem Herzen verbunden sind, dann löst sich das Spannungsfeld „Egoismus und Altruismus“ sowieso auf. Elisha schreibt, dass

es darum geht sich zu öffnen und durchlässig zu machen, damit mein Potential durch mich wirken kann, zum Wohle aller. in dem Sinne, dass ich hingelangen möge dort wo ich am besten wirken kann und sich eben am besten meine Potentiale entfalten können. Also eine radikale Hingabe an das Potential, das dann gar nicht mehr so „mein Potential“ ist, sondern vielleicht eher das Potential des Kosmos, welches durch mich wirkt.

Jetzt bin ich aber neugierig, was du dazu denkst!

Bitte hinterlass mir unten ein Kommentar!

„Wenn das Innere bereit ist, kann das Äußere folgen. Es geschieht dann wie von selbst.”
J.W. Goethe

Martin Kirchner ist Mitgründer der Pioneers of Change in Österreich