Viele von uns wollen mit ihrer Arbeit etwas in der Welt bewirken – am liebsten gemeinsam mit anderen. Gleichzeitig wird der äußere Druck immer höher: noch mehr Verwerfungen in der Welt und ein immer höheres Arbeitstempo, das vorgibt, was noch alles getan und erledigt werden muss – am besten „gestern”. Seit der Corona-Zeit berichten viele, dass ganze Organisationen richtig erschöpft sind und ihnen die Kraft fehlt, so weiterzumachen wie bisher.
Ob im Beruf, in der Care-Arbeit, während einer Ausbildung oder im Ehrenamt: Wir bewegen uns ständig im Spannungsfeld zwischen dem, was dringend erledigt werden muss, und dem, was unsere Energie zulässt. Dazu kommt, dass die eigenen individuellen Bedürfnisse oft im Widerspruch stehen mit den Bedürfnissen und Ansprüchen der anderen im Team, der Leitung oder der Gruppe. Das Ergebnis? Frustration, Überforderung und häufig das Gefühl, auf sich allein gestellt zu sein.
Beziehungen statt Frustration
Unter dem Druck des Dringenden dominieren oft die Aufgaben, Probleme und schnellen Lösungen. Doch wir übersehen dabei etwas Wesentliches: unsere Verbindungen. Bei der Begleitung von Teams und Gruppen hören wir häufig folgende Sätze:
- „Das größere Ganze ist mir unklar oder mir fehlt der Sinn in der Arbeit.“
- „Es ist zu gefährlich, ehrlich zu sein und ich traue mich nicht zu sagen, was ich eigentlich denke oder fühle.“
- „Wir sprechen die ganze Zeit über die nächsten Aufgaben, dabei wissen wir alle, dass es einen unausgesprochenen Konflikt im Raum gibt.“
- „Es gibt zu wenig Gestaltungsspielraum, wir sind festgefahren oder nur einige Wenige bestimmen alles.“
Sie geben uns Hinweise dafür, dass zu wenig Austausch untereinander geschieht oder es wird zu wenig über die wirklich wesentlichen Themen gesprochen wird. Dabei sind Räume der persönlichen Verbindung – sei es ein ehrlicher Austausch oder das mutige Aussprechen einer riskanten Perspektive – häufig der Schlüssel, um individuelle Belastungen und gruppendynamische Spannungen zu entschärfen.
In einer regenerativen Praxis bedeutet das, Räume für Beziehungen zu schaffen – Räume, in denen Offenheit, Sicherheit und authentische Verbindung zu uns selbst und anderen möglich werden – Gespräche, in denen wir den Mut finden, uns wirklich aufeinander und unsere gemeinsamen Ziele zu beziehen.
Mit Hosting Verbindung ermöglichen
Doch wie schaffen wir es, diese Haltung im Arbeitsalltag zu verankern? Wie entwickeln wir eine Kultur, die sowohl uns als Einzelne stärkt, als auch den Beziehungen im Team Raum gibt – trotz Zeitdruck und Anforderungen? Eine Antwort für uns im Team ist der Ansatz Art of Hosting. Dabei ist Hosting viel mehr als nur eine Methode: Es ist eine Haltung, die auf einer verbindenden und wertschätzenden Kultur aufbaut. Host zu sein bedeutet für uns, bewusst mit Kolleg:innen, der Ausrichtung von Meetings und dem Zwischenmenschlichen in Kontakt zu bleiben.
Wir setzen für dich in diesem Blogartikel die Hosting-Brille auf und teilen mit dir, wie du ganz konkrete Methoden und Impulse in deinem Kontext einbringen kannst – als Leitung oder als Mitglied eines Teams.
Tipps und Lösungsansätze für dich als Gruppenleitung/ Führungskraft/Host:
Etabliere die Verantwortlichkeit des Gastgebens:
In deiner Rolle als Leitung kannst du bewusst einen klaren Fokus setzen und zeigen, dass dir das WIE eures Zusammenkommens wichtig ist.
Kläre bewusst, wer die Verantwortung für euer Treffen trägt und was das beinhaltet. Überlege zudem, wie du schrittweise Verantwortung für eine Kultur der Begegnung in eurer Gruppe abgeben kannst.
Folgende Reflektionsfragen können dir dabei helfen:
- Wie kannst du bewusst einen Rahmen schaffen, in dem sich jede:r sicher fühlt, aktiv zuzuhören und ehrlich zu sprechen?
- Wie kannst du anderen mehr Raum für ihre Ideen geben?
- Welche Schritte kannst du setzen, um Verantwortung für die Atmosphäre in der Gruppe abzugeben und gleichzeitig Klarheit zu bewahren?
- Wie kannst du durch dein eigenes Verhalten zeigen, dass es Raum für Fehler, Lernen und gegenseitige Unterstützung gibt?
Formuliere eine Intention für eure Treffen und eure Zusammenarbeit:
Im Gegensatz zum Ziel, das in der Regel messbar und rational ist, geht es hier eher um eine tiefere qualitative Ebene. Eine Intention beschreibt das Warum oder Wie eures Treffens. Zum Beispiel könnte das Ziel eines Treffens sein, eine große Veranstaltung zu planen. Und die Intention könnte sein, eine Atmosphäre für Begegnung zu schaffen als Basis für eine gute Zusammenarbeit, damit das Team kreativ und effektiv einen Fahrplan für die Vorbereitung dieser Veranstaltung entwickeln kann. Die Entwicklung des konkreten Fahrplans ist hier das messbare Ziel, während das WIE von der Intention bestimmt wird. Beim Formulieren der Intention können dir folgende Fragen helfen:
- Welche Qualitäten lädst du zu eurem Treffen/euer Zusammenarbeit ein?
- Was ist dein Herzensanliegen bei diesem Treffen?
- Wie möchtest du dich fühlen, wenn du das Ziel erreichst?
Lade deine Gruppe/dein Team zu einer Verbindungsrunde / einem Check-In ein.
Damit Begegnung nicht mehr zu kurz kommt, kann es helfen, Zeit dafür in einem Treffen zu definieren. Ein persönliches und ehrliches Statement von jedem:r zu Beginn eines Meetings kann einen Raum schaffen, in dem Vertrauen wächst. Es fördert Orientierung, stärkt das Miteinander und legt die Grundlage für produktive Zusammenarbeit. Mögliche Fragen:
- Was sollten wir heute von dir wissen?
- Wie geht es dir mental/ emotional/ körperlich?
- Wie ist dein Energielevel von 1-5?
- Wie geht es dir in Bezug auf unser Treffen?
Um Irritation und Widerstand vorzubeugen, erkläre, warum du einen Check-In am Anfang des Meetings einlädst: Welchen Sinn und Zweck hat das für dich? Warum könnte das sinnvoll sein fürs Team?
Tipps und Lösungsansätze für dich als Teilnehmende / Mitarbeitende / Teammitglied:
Biete Beziehung an.
Menschen in Leitungs- oder Verantwortungspositionen fühlen sich oft isoliert und sehnen sich nach menschlichem Kontakt fernab ihrer Rolle. Baue eine Verbindung auf, die über eure Rollen und Positionen hinausgeht, und begegne ihnen als Mensch. Zum Beispiel kannst du dich einmal fragen, was dich an deinem Gegenüber aufrichtig interessieren würde (Hobbys, Lieblingscafé etc.) und nutze das nächste Pausengespräch dafür, anstatt über Arbeitsthemen zu sprechen.
Praktiziere eine wertschätzende Gesprächskultur.
Achte darauf, wie du im Kollegium oder in deiner Gruppe sprichst. Durch deine achtsame Sprache kannst du inspirieren und den offenen Dialog fördern, ohne dass es dafür ein Mandat braucht.
- Sprich positives Feedback aus und lass Menschen wissen, wenn sie etwas tun, was dir gefällt oder die Teilnahme erleichtert: “Danke, dass du in der Besprechung heute die Frage nach der Finanzierung gestellt hast. Das fand ich sehr wichtig und habe mich selbst nicht getraut.”
- Unterstütze Menschen, die bisher wenig in der Gruppe gehört wurden, dabei mehr aufzutauchen. Zum Beispiel durch direktes Nachfragen oder den Vorschlag, eine Meinungsrunde zum Thema zu machen, in der alle zwei Minuten Zeit haben, zu sprechen.
- Höre nicht nur mit dem Verstand zu, sondern auch mit dem Herzen: “Was kommt bei mir gerade auf der emotionalen Ebene an, wenn ich dir zuhöre?”
Zeige Eigeninitiative bei neuen Methoden und Tools.
Finde heraus, wo eure Lernzone ist. Sei proaktiv und mutig, indem du selbst Neues mit der Gruppe oder einer Einzelperson ausprobierst. Teile, warum es dir helfen würde oder was der Nutzen für die anderen sein könnte. (die Beschreibungen der Methoden findest du oben im Text):
- Schlage ein Check-In vor
- Frage vor Meetings nach der Intention.
- Lade zu einer Minute Stille ein
Tipps und Lösungsansätze für euch als Team
Einführen von Kulturprinzipien.
Grundsätzlich kann es sehr hilfreich sein, sich als Gruppe bewusst zu machen, welche Prinzipien die Grundlage eurer gemeinsamen Arbeit bilden sollen – wie etwa Wertschätzung, Offenheit oder auch die Bereitschaft, Konflikte anzusprechen. Hier könnt ihr euch auch überlegen, welche Ziele und Intentionen mittelfristig für eure regenerative Arbeitskultur wichtig sind. Vielleicht gibt es in eurer Organisation bereits ein Leitbild, an dem ihr euch orientieren könnt.
In unserer Erfahrung hat es sich in der Praxis bewährt, Verbundenheit und Kontakt als Prioritäten zu setzen.
Kulturbewusstsein praktizieren.
In unserem klassischen Verständnis von Arbeit erleben wir ein starkes Paradigma von Einzelkämpfertum. Für viele ist es absolutes Neuland, sich als Teil einer Gruppe wahrzunehmen und zwischen dem Ich und dem Wir zu pendeln. Nehmt euch als Team immer wieder Zeit, dieses Zusammenspiel zu reflektieren.
- „Dadurch, dass du … gemacht hast, sind wir … näher gekommen.“
- „Dadurch, dass wir … erleben, werde ich … .”
Habt Mut zu Chaos und Reibung.
Viele Gruppen halten sich an feste Regeln und Strukturen, was zu Problemen führt, wenn Konflikte oder unerwartete Themen außerhalb des gewohnten Rahmens auftauchen. Doch genau in diesen unvorhergesehenen Momenten liegt oft das größte Potenzial für echte Veränderung.
Beispiel:
Stellt euch vor, während eines Meetings wird plötzlich ein ungeklärtes Konfliktthema angesprochen. Statt es schnell abzuwürgen, könnt ihr den Raum öffnen, um das Thema zu erforschen: „Es klingt, als gäbe es hier etwas, das wir gemeinsam klären sollten. Wollen wir kurz darüber sprechen?“ So schafft ihr die Möglichkeit, Spannungen anzusprechen und kreative Lösungen zu finden.
Ungewissheit und Chaos zuzulassen, bedeutet nicht, die Kontrolle zu verlieren, sondern die Energie zu nutzen, die im Ungeklärten steckt. Gerade dort entfaltet sich die Lebenskraft, die wir im Arbeitskontext oft vermissen. Diese Momente der Offenheit können den Raum für tiefgreifende Veränderungen schaffen – für euch als Gruppe und als Individuen.
Hast du Lust, mehr zum Thema Hosting zu erfahren?
Webinar mit Pia & Anna
„Beziehung statt Frust”
Wie entwickeln wir eine Kultur, die sowohl uns als Einzelne stärkt, als auch den Beziehungen im Team Raum gibt – trotz Zeitdruck und Anforderungen? Beispiele für eine regenerative Arbeitskultur. 11.02. von 19.00-20.30 Uhr
Online-Kurs
Hosting für Kulturwandel
Pia Rox, Anna Baumgart & das Hosting Team verraten dir viele Tools, um Gruppenprozesse authentisch leiten und begleiten zu können. Du wirst Räume für Begegnung, Wachsen und Lernen gestalten. Start 30.04. oder 10.10.
Weiterführende Links:
Was denkst du über den Ansatz Art of Hosting? Hast du schon Erfahrungen, die du teilen möchtest?
Wir freuen uns, wenn du uns (und allen anderen) deinen Impuls weiter unten im Kommentar hinterlässt!
Alles Liebe
Pia Rox, Anna Baumgart und das Hosting-Team
3 Kommentare zu „Regenerative Zusammenarbeit“
“Ungewissheit und Chaos zuzulassen, bedeutet nicht, die Kontrolle zu verlieren, sondern die Energie zu nutzen, die im Ungeklärten steckt. Gerade dort entfaltet sich die Lebenskraft, die wir im Arbeitskontext oft vermissen. Diese Momente der Offenheit können den Raum für tiefgreifende Veränderungen schaffen – für euch als Gruppe und als Individuen.”
Hallo liebes Hosting-Team,
diese Gedanken von Euch haben mich sehr angesprochen. Vielen Dank!
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dieser Ansatz schon mit jungen Kindern praktiziert werden kann.
Was hätten wir für eine Pädagogik, wenn Kinder von früh an nichts anders gewöhnt wären, als dass ihre Ideen ernst genommen werden! Und wenn Pädagogen Chaos wertschätzen lernen als Chance. Als pralle Lebenskraft, um gemeinsam Neues anpacken zu können. Und wie viel Freude macht es doch, dann zusammen das Chaos in übersichtliche Strukturen zu bringen, mit denen dann gut gearbeitet werden kann. Herzlichen Gruß, Irmgard
Liebe Irmgard vielen Dank für deine Vision!
Ich glaube, deshalb machen mir die Sportstunden, die ich in derzeit 2 Kindergärten gebe, soviel Freude: Weil ich mich gerne von den Kindern von meiner Vorbereitung wegführen lasse, manchmal in ein (scheinbares) Chaos, um dann spontan zu versuchen, mit ihnen eine gemeinsame Struktur zu finden. Beispiel: Ich habe ein Spiel mit einem bestimmten Material / Turngerät vorbereitet, die Kinder haben dazu jedoch ganz andere Ideen. Ich lasse einfach zu, dass sie jeder für sich oder zu zweit, zu dritt, ihre Ideen ausprobieren, zeige nur Grenzen auf, wo es für die Sicherheit wichtig ist. Am Ende der Stunde versuche ich nochmal etwas Gemeinsames zu machen, bspw. dass jeder etwas vorzeigt, was ihm bei dieser Exploration am meisten Freude gemacht hat. Ich glaube diese Offenheit habe ich viel auch in meinem Studium zur Elementaren Musik- und Tanzpädagogik am Orff- institut in salzburg mitbekommen. Viele Grüße, Meral Anna
Liebe Anna,
Dein Feedback hat mich sehr gefreut: dass Dich mein Eintrag angesprochen hat! Und ich spüre aus Deinen Zeilen unsere gemeinsame Wellenlänge. Wie schön! Das tut gut!
Mich beschäftigt sehr, wie wir diese respektvolle Haltung Kindern gegenüber (die Du so lebendig beschreibst) in der Praxis verwirklichen können. Herzlichen Gruß aus Bayern, Irmgard