Verletzlich und krisenfest

Über Widerstandsfähigkeit angesichts von Krisen – von Kewin Comploi-Taupe

Nach der Krise ist vor der Krise

Aus heutiger Sicht kann ich über Corona sagen, dass sich diese Krise als richtig heftige, langwährende Geduldsprobe entpuppt hat. Und es werden weitere Krisen kommen: Klimaerhitzung, Finanzcrashs, etc. Deshalb sehe ich es nach wie vor als Gebot der Stunde, insbesondere jetzt, uns mit unserer eigenen „Resilienz“ – unserer „Robustheit gegen Krisen“ – auseinanderzusetzen.

Der Begriff „Resilienz“ liegt nicht zuletzt deshalb gerade im Trend. Ursprünglich stammt er aus der Physik und bezeichnet die Eigenschaft eines Materials, nach einem äußeren Schock oder nach einer Verformung wieder in den ursprünglichen Zustand zurückzufinden.

Solche „Schocks“ gibt es eben auch auf einer gesellschaftlichen Ebene – und natürlich genauso auf einer ganz persönlichen Ebene.

 

Resilienz: Trotz Krise JA zum Leben sagen…

In unserem Leben gibt es immer wieder Momente, in denen wir in einen Krisenmodus schalten: eine Beziehung, die zu Ende geht; Kündigung; Krankheit; Überforderung Familie und Arbeit unter einen Hut zu bringen; der Tod eines nahen Angehörigen oder einer Freundin. So etwas lässt sich schlecht „wegplanen“. Wenn einem Krebs diagnostiziert wird, kann man schlecht sagen: „Ja, sorry, passt grad nicht!“.

Krisen gehören also einfach zum Leben dazu. Das gilt es zu akzeptieren. Was in unserer Hand liegt, ist, einen für uns richtigen Umgang damit zu finden…

„Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen.“, sagt ein netter Spruch für das Scheitern. Manchmal liegen wir aber am Boden und kommen alleine kaum mehr auf die Beine, deshalb sind unterstützende Beziehungen so wichtig in Krisen.

In einem stabilen Beziehungsnetz gehalten und mithaltend

In der Corona-Zeit habe ich eines mit ganz anderen Augen sehen und noch mehr schätzen gelernt: meine Beziehungen. Ich lebe in dem von mir mitgegründeten Wohnprojekt Hasendorf: 24 Erwachsene und 15 Kinder unter einem Dach.

Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, dass diese Menschen ein Beziehungsfeld bilden, wo jede und jeder von uns zwar auch die Krisen der einzelnen Personen mitbekommt und damit mithält, aber gleichzeitig auch ein Stück weit gehalten wird. Das betrifft banale Alltagsdinge, z.B., dass in der Zeit der Ausgangsbeschränkung zwei Personen für alle anderen einkaufen gehen, und es bedeutet auch emotionale Unterstützung, z.B. bei einem gemeinsamen Spaziergang.

Aber auch außerhalb des Wohnprojekts haben die vielen Gespräche über Telefon und vor allem über Videocalls mir bewusst gemacht, wie wichtig und tragend meine Beziehungen für mein Wohlbefinden und für meine persönliche Krisenfestigkeit sind. Wie ist’s bei dir?

Welche Rolle spielen deine Beziehungen dabei, Krisen zu überstehen?

Wie sehr bin ich in meinem Lebensumfeld verwurzelt?

In diesen besonderen Krisen-Zeiten wird uns bewusst, wie verletzlich wir, unser Alltag, ja unsere Gesellschaft als Ganzes ist.

In den letzten Jahren hat diese Einsicht auch zu sehr erfreulichen Nachdenkprozessen geführt: Relokalisierung, die Rückverlagerung wichtiger Produktionszweige nach Europa und die Stärkung von regionaler Landwirtschaft, um unsere Versorgungssysteme resilienter zu machen. Nicht zuletzt auf Grund dieser Erfahrung wurde hier in der Region die Regionalwert AG Niederösterreich-Wien gegründet.

Ich merke, dass mein persönliches Lebensumfeld in Hasendorf recht stabil ist: Vieles von dem, was ich für lebensnotwendig erachte, ist hier lokal vorhanden. Das verschafft mir ein gutes Gefühl und beruhigt mich. Und wie ist es bei dir?

Fühlst du dich mit deinem Lebensumfeld verwurzelt? Wie sicher fühlst du dich in deinem Lebensumfeld verwurzelt? Wie abhängig bist du vom globalen Warenstrom?

„Vieles von dem, was ich für lebensnotwendig erachte, ist hier lokal vorhanden.“

Letztlich liegt es in unserer Hand…

Wie gut wir in unserem Lebensumfeld und in unserem Beziehungsnetz eingebettet sind, stellen also wichtige Aspekte meiner Resilienz im Außen dar. Warum schleudert es manche Menschen, die diese Aspekte ausreichend verwirklicht haben, trotzdem?

Der Grund ist: eine Krise wirft uns immer auf uns selbst zurück. Letztlich liegt es an uns, wie wir mit widrigen Umständen umgehen und handlungsfähig bleiben, wie es um unsere „Mentale Resilienz“ bestellt ist.

Der 1. Schritt:  die Wirklichkeit akzeptieren

Der für mich wesentlichste Schritt dazu ist die Wirklichkeit radikal so anzunehmen, wie sie ist. Alles andere ist Energieverschwendung. Wer es nicht glaubt, versuche ein kleines Experiment: geh zu einem großen, stinkenden LKW, stell dich mit deiner ganzen Energie und Entschlossenheit und Wut hin und rufe: „LKW, verschwinde!“. Und, hat‘s geklappt? 😉

Nur wenn ich die Wirklichkeit so akzeptiere, wie sie nun mal ist, kann ich darin die eigenen Handlungsspielräume erkennen und dann womöglich positive Veränderungen bewirken – oder manchmal auch nicht. Das ist das Leben. Dann kann ich aber wenigstens die Gelegenheiten darin sehen (wie David Steindl-Rast empfiehlt, siehe Blog-Artikel von Martin Dankbarkeit als revolutionäre Praxis).

Auf jeden Fall gilt es, aus einer Opferhaltung auszusteigen und Verantwortung zu übernehmen – unsere „Response.Ability“ zu stärken, unsere Gestaltungsmacht zu entwickeln.

Aus solch einer Haltung fällt es leichter über Resilienz nachzudenken und dahingehende Schritte zu setzen. Und zum Beispiel die richtigen Fragen zu stellen:

Wie kannst du deine Kraftquellen, die dich schon durch vergangene Krisen gebracht haben, wieder anzapfen, z.B. deinen Körper zu bewegen?  Sind die Dinge, die du dir über dich und deine Situation erzählst, gerade dienlich?  Wohin kannst du deinen Fokus setzen, damit deine Handlungsfähigkeit steigt?

Laut der Entwicklungspsychologin Emmy Werner geht es bei „Mentaler Resilienz“ um …

  • die Kunst der teils radikalen Akzeptanz der Realität,
  • eine Haltung, dass das Leben allen Widrigkeiten zum Trotz sinnvoll ist, und
  • eine außerordentliche Fähigkeit, zu improvisieren und innovativ zu denken.

100% Resilienz als Illusion

Wer bis hier gelesen hat könnte meinen: „Gut, dann muss ich hier und hier und hier ein Schräubchen drehen, dann bin ich unverwundbar.“ Doch Achtung: Falle! Das ist eine Illusion, ein Wegdrücken von dem, was uns ausmacht: dass wir eben auch verletzliche Wesen sind.

Resilienz heißt nicht, die Verletzlichkeit zu verleugnen, sondern beginnt mit der Würdigung und Annahme der Verletzlichkeit.

Es geht also nicht so sehr darum, die eigene Angst zu bändigen, indem ich möglichst viel Kontrolle über potentielle Quellen der Unsicherheit und Verletzungen erlange. Sondern – womöglich sogar freudvoll und mit Leichtigkeit – zu erforschen, wie mehr Resilienz auf allen Ebenen mein Leben reicher und verbundener macht.

Wie geht es dir damit? Wie handlungsfähig und resilient fühlst du dich in der Krise?

Was denkst du dazu?

Hinterlass ein Kommentar, hol dir Impulse beim Webinar

Kewin Comploi-Taupe leitet gemeinsam mit Marlene Günther den Online-Intensivkurs „response.Ability“, Start: 25. Jänner 2023