Der Weg war das Ziel.

Ein Insiderbericht von der „Transformationsfront“.

Soeben haben wir feierlich mit viel Dankbarkeit und Freude unser Jahrestrainings Lead the Change 2022/23 abgeschlossen. Wir können aus diesem Jahr viele Geschichten erzählen. An einer, wollen wir euch teilhaben lassen. Nämlich an der von Michael.

Der Wiener Sunnyboy war 15 Jahre Kapitän von Privatjets  und bezeichnet Lead the Change als “a journey of a lifetime”. Es hat ihn vom Captain mit RayBan Brille zum Michael von heute verwandelt, der am Boden der Tatsachen angekommen ist, verstanden hat, wofür er geht, seine Meinung mit ganzem Herzen vertritt und trotzdem verletzlich geblieben ist…

Der Weg war das Ziel

von Michael Marchetti

Vor einem Jahr meldete ich mich zu „Lead the Change“ an. Schon im Vorfeld rankten sich Mythen um das Jahrestraining der Pioneers. „Genial, mach es!“. „Das wird dir völlig neue Perspektiven geben!“, hörte ich von mehreren Seiten. Versprechen gehalten? Eindeutig: Lead the Change hat meinen Blick auf die Welt verändert. Ein Insiderbericht von der „Transformationsfront“.

Es ist Ostern, ich sitze mit meiner Frau gemeinsam auf der Fähre auf die kroatische Insel Hvar, blicke aufs blaue Meer, spüre den Wind in den Haaren, Sonne im Gesicht und nippe an einer kleinen Flasche Karlovacko Pivo, während links von uns die Küste vorbeizieht. Ich fühle mich frei. Ich meine: richtig frei. Nicht nur diese einwöchige „Urlaubsfreiheit“. Etwas ist anders geworden, meine Frau merkt es, findet das spannend, will mehr erfahren.

Es hat mit dem Modul des Trainings zu tun, das einen Tag davor zu Ende gegangen ist, und auch mit den Modulen davor.  Mit unserer Gruppe, 20 Menschen aus Österreich und Deutschland, die gemeinsam aufgebrochen sind zu dieser inneren Reise, begleitet von einem vierköpfigen Trainer:innenteam. Nichtsahnend, wohin der Weg uns führen wird. Wie er uns alle verändert.

In zwei Zoom Calls vor dem Sommer beschnuppern wir uns zunächst virtuell und in „Breakout Sessions“: Mit mir im Raum ist Arnd aus Hamburg, 59, ein erfolgreicher Teamleiter im IT Bereich. Er spricht davon, sich „nichts mehr beweisen“ zu müssen, aber auch von seinem Ehrgeiz beim Sport. Seine Stimmung: „Eins minus, weil es geht immer besser“. Martina, 46, Konzertgitarristin aus Eisenstadt, erzählt, dass sie Dinge gut spüren kann, „mit dem Herzen zuhört und etwas anderes will als die Masse“.  Jonathan ist mit seinen 25 Jahren das Küken der Runde. So alt wie meine Tochter, hat er schon eine Vision Quest hinter sich. Er kommt vom Bodensee, zeichnet gern Comics und fühlt sich „lebendig im Dialog“ mit Menschen.

Viel Neugier ist spürbar, auch beim ersten Treffen im „real life“ Anfang September. Wir teilen unsere Erwartungen und üben auch gleich, sie wieder loszulassen. Noch gibt sich niemand eine Blöße, das kommt später. Aber schon nach den ersten Tagen wird klar: das Sprechen im großen Kreis und die Dynamik der Gruppe wirken. Nicht nur bei mir.

Beim zweiten Modul geht es um unsere Schatten. Das, was wir nicht so gern an uns selbst sehen, dafür umso mehr bei den anderen finden und kritisieren. Dabei geht’s ordentlich zur Sache.

Alexandra, die mutig den ersten Schritt macht, empört sich über eine Verwandte. Und weil das, was uns an anderen so stört, immer etwas mit uns selbst zu tun hat, sitzt sie ein paar Minuten später da, atmet schwer, Tränen in den Augen. Wir können beobachten, wie betroffen sie plötzlich ist, von dem, was sie nun aussprechen soll: Dass sie selbst diese Eigenschaften in sich trägt, die sie gerade noch kritisiert hat. Wir lernen: Es sind die Pfeile, die wir auf andere abschießen, die in großem Bogen zu uns zurückkehren und uns ins Herz treffen.

Alfred Strigl und Sylvia Brenzel machen uns mit ihren Interventionen diese Dynamik klar. Entblättern uns, Schicht für Schicht, bis wir voreinander „nackt“ dasitzen und Zeug:innen werden. Von Schmerzen, Kummer, den Gefühlen der Minderwertigkeit und des Nicht-Genügens. Ich kämpfe mit meiner Scham, mich wirklich zu zeigen. Will nicht raus aus der Unverwundbarkeit und Souveränität, von der ich glaube, sie mir im Laufe des Lebens angeeignet zu haben.

Aber gleichzeitig fühle ich mich wie unter einer Glaskuppel. Safe – und unerreichbar. Immer auf der Hut, nichts falsch zu machen. Dahinter sitzt der kleine Michael, der als Kind gar nicht souverän war. Tränen fließen, Schatten lösen sich auf, kommen durch die Hintertür wieder.  Schon im nächsten Modul werden wir weiter mit ihnen ringen.

Meine Frau Tiba ist begeistert. Wir sitzen nebeneinander und blinzeln in die Nachmittagssonne, die Wellen glitzern. Sie hat gerade von mir gehört, dass ich laut neuester Selbsteinschätzung vielleicht doch nicht alles so im Griff habe. Dass es möglicherweise nicht nur eine Stärke ist, sich gut abgrenzen zu können. Sondern auch eine sein kann, sich verwundbar zu machen und zu geben.

Das Jahrestraining der Pioneers wurde 2010 von Sylvia Brenzel und Martin Kirchner ins Leben gerufen, damals hieß es noch „Lern- und Werdegang für Akteur:innen des Wandels“, 24 Teilnehmer:innen saßen im ersten Kurs, seit damals haben es knapp 300 motivierte „Wandler“ absolviert. Wer das Training machen will, muss dafür knapp 5000 Euro und ein Motivationsschreiben auf den Tisch legen. Changemaker-Casting.

Im Kreis der Teilnehmer:innen saßen bisher neben alleinerziehenden Müttern auch Uni-Professor:innen, Landwirt:innen, Yogalehrer:innen, Studierende, Firmengründer:innen oder Manager:innen genauso wie Lehrer:innen. Gemeinsam ist allen der Wille, ihre Energie in Zukunft sinnvoll einzusetzen.

Auch in unserem Kurs befinden sich einige an einer Weggabelung in ihrem Leben, die meisten zieht es zu neuen Projekten und Aufgaben. Dabei gilt es, die Grätsche zwischen materieller Sicherheit und dem Traum vom perfekten Wirken halbwegs elegant zu meistern. Ein running gag unter den Pioneers lautet: Das Jahrestraining produziert lauter glückliche Arbeitslose. Wahr daran ist: Wir lernen in diesem Jahr, dass Werte wie Lebendigkeit genauso wichtig – für manche sogar wichtiger – sind, als die Sicherheit von 14 Gehältern und 6 Wochen Urlaub.

Auch in unserer Gruppe vertiefen sich die Beziehungen. Wir haben uns „Buddys“ ausgesucht, mit denen wir uns bei den Modulen aber auch via Zoom und Telefon in der Zeit zu Hause austauschen. Mehr und mehr lernen wir einander kennen. Durch die Wortmeldungen im Kreis, das Zusammensitzen bei den Mahlzeiten, das Teilen unserer Tränen, das Lachen und Feiern. Eine eigene „Feiergruppe“ plant bei jedem Modul die Abendgestaltung, es gibt „Lead the Change“ Playlisten, glitzernde Discohosen im Koffer und Tanz-Aficionados, die bis in die frühen Morgenstunden Gas geben.

Im Lauf der Monate kommen verborgene Talente zum Vorschein. Es zeigen sich Showmaster:innen, die gerne im Mittelpunkt stehen. Redner:innen und Zuhörer:innen. D-Janes und Schaman:innen. Vermittler:innen. Oder die Stillen mit dem trockenen Humor, der im richtigen Moment wie ein Blitz einschlägt. Wir locken uns gegenseitig aus der Reserve, wissend: perfekt sind wir schon lange nicht mehr! Aber irgendwie doch, indem wir so sind, wie wir sind und lernen, dazu zu stehen.

Kopfstände

Für Einzelne in unserer Gruppe schlägt das Leben Kopfstände: Outings, Kündigungen, Verzweiflung, finanzielle Sorgen – wir sind „all in“, wie beim Pokern. Nur spielen wir hier das große Lebensspiel, ohne zweite Runde.

Martina, die Konzertgitarristin, ist die erste, bei der das deutlich wird. Nach Modul zwei outet sie sich: Als wir im Kreis sitzen, erzählt sie uns, dass sie sich seit Jahren als Mann in einem Frauenkörper fühlt. Dass sie gehofft hat, es wäre nur eine Phase. Eine Therapie hinter sich hat. Und nun begriffen hat, dass sie noch bis zum jüngsten Tag weiterhoffen kann. Stattdessen nimmt sie lieber ihr Leben in die Hand. Und würde von nun an gerne Tim genannt werden. Meine Kinnlade sackt nach unten. Ob jemand von uns noch Männerhemden hat, die er nicht mehr braucht?

Wow. Es wird ein paar Tage dauern, bis ich das verdaut habe. In denen ich unsicher bin, wie ich mit Tim umgehen soll. Aber sofort ist spürbar, wie er aufblüht, als ob eine zentnerschwere Last von ihm fällt. Und bald schon geht mir der neue Name – Tim – genauso leicht über die Lippen wie zuvor Martina. Heute finde ich: er passt noch viel besser! Die Unsicherheit hat sich schnell aufgelöst, geblieben ist: Erleichterung und Freude.

 

Wie willst du gelebt haben? Was hält dich zurück?

Diese Schlüsselfragen stellen sich vermutlich alle, die das Training beginnen. Mittlerweile ist der Kurs mit seinen 7 Modulen auch als Bildungskarenz voll anrechenbar. Er lehnt sich im Aufbau und seiner heutigen Struktur an Otto Scharmer an, den deutschen Professor am Massachusetts Institute of Technology und seine Theorie U“.

Auch die Pioneers möchten „Landeplätze für die Zukunft“ schaffen. Manchmal gelingt das beispielhaft: direkt am Lagerfeuer eines Jahrestrainings entstand die Idee für ein millionenschweres Wohnprojekt in Hasendorf bei Wien, in dem mittlerweile 34 Menschen leben.

Manche Teilnehmer:innen begannen nach dem Training, sich politisch zu engagieren und sitzen in Gemeinderäten, andere wie Soulbottles-Gründer Georg Tarne setzten ihre Vision mit einem eigenen Unternehmen um. Sie alle folgten ihrem Herzen.

 

Über die Schwelle treten

So wie wir, als wir bei einem der Module zur Visionssuche antreten. Wir absolvieren sogenannte „Schwellengänge“ und sind dabei stundenlang allein im Wald, zuerst nachmittags in der Sonne, später auch, als es dunkel wird. Verpflichten uns, zunächst mit niemandem über unsere Erlebnisse zu sprechen. Innere Prozesse bahnen sich ihren Weg in die Welt. Es rumpelt. Was an diesem Tag so spielerisch begonnen hat, als Erleben unseres inneren Kindes, steuert auf eine Kollision mit dem Jetzt-Zustand zu.

Etwas will hoch. Ich merke, wie ich mich eingerichtet habe in einer Welt voller Vermeidung und Glaubenssätze, die allesamt ihre Gültigkeit verlieren, sobald ich daran rüttle: Ich brauche sechs Stunden Schlaf? Mitnichten. Ich kann nicht mit anderen im Zimmer schlafen? Wir sind zu dritt, Jonathan, Susanne und ich – es gibt hier keine Einzelzimmer. Schikurs-Feeling. Sagen uns „Gute Nacht“ und hoffen, dass keiner schnarcht. Irgendetwas in mir freut sich wie ein kleines Kind. Ich fühle mich lebendig. Mittendrin in dem, was ich sonst nie machen würde.

Am Rückweg vom letzten Schwellengang im Wald komme ich mir selbst nicht mehr aus. Das Tagungshaus schon in Sicht, merke ich, dass mich irgendetwas noch nicht in den Kreis zurückkehren lässt. Ich kann es nicht greifen, aber etwas will raus aus mir, will sich zeigen, und zwar egal, was die anderen dazu sagen und wer was über mich denkt. Ich bleibe stehen, am Waldrand. Lächle kurz, und dann passierts: Ein Schrei, den ich weder erwartet noch geplant habe, von tief drinnen. „Da hat sich jemand seine Eier zurückgeholt!“ kommentiert Kewin, ein Trainer, später. Für mich fühlt sich das an wie eine Geburt. Und genau das war die Absicht.

Noch einmal geboren…

Es ist wunderbar, mitten im Leben noch einmal geboren zu werden. Nicht mehr die Person sein zu müssen, die ich glaubte, zu sein. Die alle schon kennen im Freundeskreis, weil sie immer das Erwartete liefert. Lead the Change hat uns die Chance gegeben, uns selbst zu überraschen, noch einmal kennenzulernen, unsere unbekannten Seiten zu entdecken, die so lange darauf gewartet haben, auch gelebt zu werden. Ganz werden. Der Sinn dieser beiden Worte, ihre unbändige Kraft erschließt sich mir in diesen Tagen noch einmal neu. Sie öffnet Türen, sprengt Grenzen, kündigt Jobs, ordnet neu und bringt uns schnurstracks auf unseren Weg, direkt hin zu dem Geschenk, das wir der Welt zu geben haben.

Lauernde Überraschungen

Überraschungen lauern immer wieder auf uns, sie gehören zum Lebendig werden dazu. Auch bei unseren Prototypings, jenen ersten Versuchen, unsere neu entdeckten Qualitäten in ein Tun zu packen. Ein Ausrichten, ein Gehen der Schritte – oft nur kleine und wenige – die noch fehlen, um uns strahlen zu lassen.

Als „friendly customer“ erleben wir einander in der Gruppe, stärken und unterstützen uns beim zarten Aufblühen. Ohne es geplant zu haben, lande ich spontan mit Ingrid in einem Zoom Austausch, der binnen weniger Minuten so tief geht, dass er mich in Folge wochenlang begleitet. Unverhofft erweist sie sich als mein Guide in eine andere, innere Welt: schließt ihre Augen, wiegt ihren Kopf, ich beginne zu reden. Bald lassen wir den Verstand weit hinter uns und öffnen eine Tür. Dort, wo nicht der Kopf versteht, sondern der Körper spürt, augenblicklich und ohne einen Zweifel. Volltreffer. Am Ende ist mir klar: hier ist gerade jemand dabei, seine Gabe in die Welt zu bringen. Es war mir eine Ehre, dabei sein zu dürfen!

Land in Sicht

Der Kapitän drosselt die Motoren. Möwen kreisen, die Fähre bahnt sich den Weg in den Hafen von Starigrad. Minuten später gehen wir an Land. In der äußeren Welt auf einer kroatischen Insel. In meiner inneren Welt setze ich dieser Tage den ersten Schritt auf einen neuen Kontinent. Und bin froh, diese Erfahrungen mit meiner Frau zu teilen.

„Was ist wichtiger, der Weg oder das Ziel? fragte der große Panda. Die Weggefährten, sagte der kleine Drache.“ Danke, Bernhard für diese Nachricht in unserer Chat-Gruppe. Und an euch, für eine unvergessliche Reise!

 

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Michael Marchetti
Lead the Change Lehrgang 2022/23

Der Wiener Michael Marchetti hat schon viele Rollen erfolgreich gelebt: er ist studierter Historiker, war mit seinen beiden Töchtern in Vaterkarenz, arbeitete als Journalist, Autor,  Unternehmer, Tauchlehrer und bis zur Pandemie auch 15 Jahre lang als Kapitän von Privatjets.

Seine Verbundenheit mit der Natur führten ihn jeweils für ein Jahr nach Kenia und Südamerika, in Neuseeland durchwanderte er mit seiner Frau fünf Monate lang nur mit Rucksack und Zelt den über 3000 km langen Te Araroa Trail. Die immer deutlicheren Anzeichen der Klimakrise brachten ihn letztlich dazu, den gut bezahlten Pilotenjob zu kündigen und sich mit ganzer Kraft für einen Wandel der Gesellschaft einzusetzen.

www.oneeightzero.org

Wir freuen uns über deine Gedanken und Impulse dazu – bitte hinterlasse sie unterhalb in einem Kommentar! Die Kommentare werden auch von vielen anderen gelesen, danke, wenn du dir Zeit nimmst – so können wir gemeinsam lernen (und dies in einem vertiefenden Blog-Beitrag integrieren).

In diesem gemeinsam Online-Austausch werden dir Sylvia Brenzel & Eva Kainz einen guten Überblick über unser Jahrestraining geben. Als frisch gebackener Absolvent unseres Trainings wird auch Michael Marchetti mit dabei sein und von seinen Erfahrungen erzählen.

In sieben Modulen wirst du deine Kompetenzen für Co-Kreation, soziale Innovation, Kulturtransformation und Leitung nachhaltig wirksamer Teams entwickeln. Die Bewerbung dafür ist jetzt möglich – komm in den Info-Call am 15. JuniEarly Bird bis 23. Juni 2023!