»Wo aber das Gespräch sich in seinem Wesen erfüllt, zwischen Partnern, die sich einander in Wahrheit zugewandt haben, sich rückhaltlos äußern und vom Scheinwollen frei sind, vollzieht sich eine denkwürdige, nirgendwo sonst sich einstellende gemeinschaftliche Fruchtbarkeit (…) Das Zwischenmenschliche erschließt das sonst Unerschlossene.«
Martin Buber
»Gemeinschaftliche Fruchtbarkeit«?
»Das Zwischenmenschliche erschließt das sonst Unerschlossene.« – Spannend, was Martin Buber da beschreibt!
Kennst du das auch, dass in Gesprächen in Gruppen manchmal etwas wie Magisches passiert?
Dass wir uns in einem »generativen Dialog« gegenseitig befruchten und zwischen uns eine Weisheit entsteht, die unsere individuelle Weisheit übersteigt?
Ich liebe diese Momente, wenn wir einander tief zuhören in unserer individuellen Unterschiedlichkeit. Wenn wir unsere Meinungen loslassen und hinspüren, was dahinter liegt, was dem Ganzen am meisten dient, was entstehen mag. Ich liebe echten, generativen Dialog.
Ein Dialog ist keine Debatte!
Wenn ich in unsere Gemeinderäte schaue, wenn ich in unser Parlament schaue, wenn ich mich an viele Firmen-Meetings erinnere – dann wird mir oft richtig schlecht.
Da geht es oft um egogetriebenes Durchsetzen, Recht-Haben, auch um Manipulation und Halbwahrheit, andere durch geschickte Untergriffe fertigmachen, freche Schubladisierungen und destruktive Pauschalisierungen – mühsame und kopfige Debatten statt echtem Dialog.
In der Wirtschaft kommen neue Haltungen und »Kulturtechniken« schon zunehmend an (nicht zuletzt durch die Arbeit von so Menschen wie Claus-Otto Scharmer). In der Politik sind wir leider noch weit davon entfernt bzw. scheint das Pendel gerade (von Krawall-Medien getriebenen) noch mal in eine destruktive Gegenrichtung zu schwingen.
Wenn wir die Herausforderungen unserer Zeit lösen wollen, brauchen wir eine unterstützende Kommunikationskultur!!! Dann brauchen wir eine andere Qualität im Zwischenmenschlichen, die (nach Buber) uns unerschlossene Möglichkeiten und »gemeinschaftliche Fruchtbarkeit« eröffnet.
»Im Anfängergeist gibt es viele Möglichkeiten. Im Geist des Experten gibt es wenige.«
Zenmeister Shunryu Suzuki
Art of Hosting
Auf der Suche nach Ansätzen und Möglichkeiten für eine neue Kommunikationskultur haben wir »Art of Hosting« als eine der vielversprechendsten »Communties of Practice« kennen und schätzen gelernt.
»Art of Hosting« könnte man in etwa mit »Die Kunst, Gastgeber*In für gute Gespräche zu sein« übersetzen und baut auf Methoden auf wie Dialog nach David Bohm, World Café, Open Space, Appreciative Inquiry. Bei Art of Hosting geht es um mehr als eine Methode, sondern um eine Haltung und eine Praxis, die im täglichen Tun geübt und weiterentwickelt wird.
Art of Hosting steht für Ko-Intelligenz, Zusammenarbeit und Selbstorganisation. Es ist als soziale »Open Source-Technologie« organisiert und gewissermaßen das Linux für Veränderungsprozesse. Tausende von Personen in der ganzen Welt entwickeln den Ansatz laufend weiter.
Wesentlich für gutes »Hosting«, gelingende Dialoge und kreative Zusammenarbeit ist unsere Haltung und Intention und ein paar gewisse »Kernfähigkeiten«…
10 Haltungen bzw. Kernfähigkeiten im Dialog
(nach Freeman Dhority und Martina & Johannes Hartkemeyer)
1: Die Haltung des Nicht-Wissens bzw. eines Lernenden verkörpern
In unserer Kultur sind wir gewohnt, als Wissende aufzutreten. Wenn ich aber eine Haltung der Neugier und des Nicht-Wissens einnehme, bin ich offen für neue Perspektiven.
Wann hast du das letzte Mal die neugierige Haltung eines Kindes eingenommen?
2: Radikaler Respekt
Respekt heißt für uns, die andere Person in ihrem Wesen als legitim anzuerkennen. Respekt ist aktiver als Toleranz: Ich bemühe mich darum, die Welt aus der Perspektive des anderen zu betrachten.
Wie würde sich Ihre Sichtweise verändern, hättest du die gleiche Erfahrung wie dein Gegenüber gemacht?
3: Offenheit
Dies bedeutet, die Bereitschaft mitzubringen, offen zu sein für neue Ideen, für andere Perspektiven und dafür, lang gehegte Annahmen in Frage zu stellen.
Wie gelingt es dir, offen zu bleiben, wenn dein Gegenüber eine konträre Position vertritt? Was wird dadurch möglich?
4: Sprich von Herzen… und fasse dich kurz
Damit ist gemeint, dass ich von dem spreche, was mir wirklich wichtig ist, mich wesentlich angeht. Ich spreche über »mich« statt über »man« und verzichte auf Schuldzuweisungen. Ich rede nicht, um rhetorisch zu brillieren, zu theoretisieren, einen Vortrag zu halten. Ich fasse mich kurz.
Was passiert, wenn du im Gespräch ganz bei dir und deiner Erfahrung bleibst?
5: Zuhören
Das heißt, ich lausche dem anderen so vorbehaltlos wie möglich und mit empathischer Zugewandtheit. Ich lade mein Gegenüber ein, die eigene Welt vertrauensvoll sichtbar zu machen. Ich höre aber auch auf meinen eigenen »inneren Dialog«.
Welche inneren Bewegungen, Gedanken und Bewertungen kommen in dir auf, wenn du jemandem zuhörst?
»Sobald Dir ein Gedanke einfällt – lach‘ darüber.«
Lao Tse
6: Verlangsamung
Im Dialog wollen wir unseren automatischen gedanklichen und emotionellen Mustern auf die Schliche kommen. Wir wollen achtsam sein und Raum geben für feinere innere Impulse, die wir dann thematisieren können. Ohne Verlangsamungsprozess sind wir dazu kaum in der Lage.
Was wäre, wenn du in einer hitzigen Gesprächssituation um eine Pause bitten würdest?
7: Annahmen und Bewertungen »suspendieren«
Unsere individuell unterschiedlichen Glaubenssätze, Interpretationen und Annahmen liefern den Zündstoff für endlose Missverständnisse und Konflikte. Im Dialog üben wir, unsere Annahmen und Bewertungen offenzulegen und in der Schwebe zu halten.
Was wird möglich, wenn du das, was du zu sagen hast, für eine Weile »suspendierst« und dich nur auf das Versstehen deines Gegenübers ausrichtest?
8: Produktives Plädieren
Dies ist eine Einladung dazu, die Wurzeln meines Denkens und Fühlens auszusprechen. Ich benenne also nicht nur das »Endprodukt« (ein Statement), sondern auch die Annahmen, Bewertungen, Vorurteile sowie Beobachtungen, die mich dazu geführt haben.
Wie kannst du andere ermutigen, deine Sichtweisen kennenzulernen und diese zu überprüfen?
9: Eine erkundende Haltung üben
Ich gebe meine Rolle als Wissende*r auf und entwickle echtes Interesse an dem, was anders ist als ich es bereits kenne. Damit ist eine Haltung von Neugier, Achtsamkeit und Bescheidenheit gemeint: »Ich weiß nicht, doch ich möchte gerne darüber erfahren«.
Wie kannst du Fragen stellen, die andere Personen nicht als bedrohlich, schulmeisterlich oder inquisitorisch empfinden, sondern als ehrlich und interessiert?
10: Den Beobachter beobachten
Dies bedeutet, dass ich mich im Dialogprozess selbst beobachte und mich darum bemühe, mir meiner eigenen Denk-, Gefühls- und Reaktionsmuster (Urteil, Zorn, Kritik, Furcht) bewusst zu werden.
Wie können wir aus unseren eingeprägten »Programmen« aussteigen?
»Was immer Du zu sagen hast, lass‘ die Wurzel dran, lass sie hängen. Mitsamt der Erde, um klarzumachen, woher sie kommt.«
Charles Olsen
13 Kommentare zu „Hosting & Haltung“
Ich finde die 10 Punkte klasse formuliert ! Ich kenne alles schon, aber das ist auf den Punkt gebracht: kurz und klar.
Für mich ist noch die Grundlage “Liebe in meinem Herzen für Alles was ist” – in mir und dem/den anderen im Dialog
Lieber Martin, ich nehme mir (in diesem Fall ab Feb.) vor, jeweils einen Hinweis pro Monat in meinem Kommunikations-Verhalten besonders zu fokussieren. So wird Dein aktueller Blog heuer zu meinem Jahresmotto 2018 werden. Im Dezember feiere ich dann meine Erfolge! Ich werde mich somit bemühen, beginnend mit Februar, für ein ganzes Monat die “Haltung des Nicht-Wissens” einzunehmen, wenn ich im Dialog bin. Nach den Gerichtsverhandlungen im Vorjahr, in denen es hauptsächlich darum gegangen ist, “gegen” die Kampf-Rhetorik meines bzw. Sainey´s Gegenübers zu bestehen (= diversen Anwälten und Juristen gegenüber zu sitzen, die rhetorisch brillieren, theoretisieren, einen Vortrag halten), sicherlich eine ausgesprochene Wohltat. Danke für´s Zusammentragen und Formulieren! Herzliche Grüße aus Innsbruck sendet Renate
Eine wirklich tolle, inspirierende Zusammenstellung!!! Danke dafür!!
Ich möchte gerne hinzufügen, dass mir diese Haltung auch und gerade gegenüber Kindern soo wichtig ist Ich übe mich täglich darin
Lieber Martin, würde gerne noch Hilfsmittel für ein Gespräch teilen. Da wäre die Regel, dass immer nur einer spricht, am besten erkennbar mit einem für alle sichtbaren Gegenstand in der Hand. “ja aber” gibt es grundsätzlich nicht. Falls jemand sich beim Reden vergallopiert, sprich, das Ego ihn mitreisst, gibt es eine sanfte Methode, um ihn aufmerksam zu machen. Z. Bsp. eine Glocke ertönt, und es gibt 1 Minute Stille. Oder die Zuhörer dürfen Huhu sagen. Dies ist keine Bewertung oder Maßregelung, sondern nur ein achtsames Zurückholen zum Thema.
Danke Dir und Euch für das unglaublich wertvolles Engagement.
Herzliche Grüße
eine wunderbare idee,ein punkt pro monat!das werde ich auch praktizieren.2018-mein jahr des dialogs.vielen dank für die idee,renate!
Danke Martin, für soviel Klarheit, ich ich in den 10 Punkten erlebe! Mir ist die Gemeinschaftsbildung nach Scott Peck vertraut. Das sind ganz ähnliche Inhalte, und ich fühle mich zusehends wohler in Gesprächen, seid ich offen, nicht – wissend und mehr und mehr hörend interagieren kann. Manchmal gelingt nicht, wenn die trigger zu groß sind…… das ist dann auch okay.
Lieber Martin,
eine ganz tolle und inspiriende Zusammenstellung. Ich glaube Begegnung ist ein wesentlicher Schlüssel, sowohl für das Gespräch als auch für das Gelingen von Projekten und für das entstehende Feld.
Ganz wesentlich würde ich noch das Council in seinen vielen Formen als Inspirationsquelle hinzufügen (siehe z.B. Circle-die Kraft des Kreises – Baldwin, “Der große Rat – Coyle/Zimmerman” oder auch Manitonquat und den Wir-Prozess). Neben dem Dialog gehört dies zu den Pionieren was Kommunikation im Wir-Feld angeht.
Ebenso ganz wesentlich sind Modelle, die das Zeugenbewusstsein in den Vordergrund stellen, wie seit langem von den ZenPeacemakern praktiziert, oder in ähnlicher Form als “Third Perspektive” von William Uri seit langem angewandt in akuten Konfliktsituation (selbst in Kriegsgebieten wie z.B,.Kolumbien). Auch in der integralen Szene und bei Thomas Hübl wird mehr und ein Global Social Witnessing praktiziert.
Was ich auf jeden Fall ganz super finde, ist dass all dies sich mehr und mehr vernetzt und gegenseitig inspiriert. Ich finde dass du mit deinem Projekt da auch einen schönen Beitrag dazu leistet.
Herzliche Grüße, Rupert
Hallo,
Ich musste an die Gesprächs-Empfehlungen der TZI (Themnzentrierte Interaktion) denken, die ich für das beste halte, was es gibt. (Besser als Scott Peck)
Soweit zum Gelaber, aber wie man dann wirklich kollektiv weiter kommt und sich selbst organisiert, da finde ich die Soziokratie 3.0 am besten, um effektiv Entscheidungen zu treffen und sich in semi-autonomen Rollen und Kreisen zu organisieren, basierend auf Vertrauen und methodischen Mitwirkungsmöglichkeiten. Es gibt über 60 Methodenbausteine die basierend auf dem aktuellen Kontext und den Bedürfnissen Verbesserung bringen und sich alle verbessern lassen. Die Sammlung entwickelt sich auch ständig weiter.
Gruß,
Arne
Gefällt mir, fühlt sich richtig an.
Allerdings sind die Punkte 1, 3, 5, 7 und 9 für mich im Kern identisch (und aus diesem Kern ergeben sich eben verschiedene Verhaltenskonsequenzaspekte), sodass man die 10 Punkte auch auf 6 oder 7 “eindampfen” kann (ganz im Sinne des Punkts “Fasse dich kurz”). 🙂
Punkt 10 gehört eigentlich auch noch dazu … ;D
Herzlichen Dank, Martin, für diese profunde Auflistung.
Ich werde sie in die Teams mitnehmen.
Die werden sich echt freuen!
lieber Martin Danke sehr für die hilfreiche TO DO Liste, saved
die Praxis im deep listening hilft mir schon mal sehr,
besonders auch die GLOBAL Dyad MeditationPraxis, wenn Host-Zuhörer und Guest-Sprecher die Positionen wechseln.
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