Inwieweit können wir unsere Potenziale aus eigener Kraft entfalten – und inwieweit brauchen wir andere? Beim Summit 2020 hab ich dazu die Philosophin Natalie Knapp gefragt – auch zur Frage: »Wie wirkt sich das soziale Umfeld auf unsere Identität aus?«
Ihre Antwort: »Es ist das verrückteste Missverständnis, dass wir alle glauben, wir seien Individuen.« … und … »Wir sind nicht als Einzelwesen gemacht!«
Natürlich sind wir auch als Individuen »frei« – aber nur in einem bestimmten Ausmaß! Jahrzehntelange Forschung zu Netzwerkeffekten zeigt laut Natalie, dass unsere Entscheidungen nur zu etwa 25 Prozent individuell sind – in 75 Prozent der Fälle entscheiden wir uns für die Gruppenmeinung (siehe auch Interview-Ausschnitt).
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Vimeo. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenAusschnitte vom Summit-Interview mit der Philosophin Natalie Knapp – Ganzes Interview im Kongresspaket 2020
Bewusstsein funktioniert über Rückspiegelung und Resonanz
Unsere Umgebung hat eine enorme Wirkung auf uns – darauf, wer wir sind und wer wir werden. Ein ungeeignetes Umfeld kann uns dabei extrem beeinträchtigen. Natalie meint dazu: »Bewusstsein funktioniert über Rückspiegelung und Resonanz. Und wenn man keine Resonanz hat zu dem, was einem wertvoll ist, dann vergisst man es mit der Zeit.«, sagt Natalie – und: »Ich darf mir nicht einbilden, dass ich jahrelang in einer ›Höhle des Löwen‹ sein kann und dies keinen Einfluss auf mich hat.«
Deshalb ist es für unsere Entwicklung so entscheidend, mit welchen Menschen wir uns umgeben. Und dass wir bewusst wählen, wo wir uns aufhalten (oder eben nicht), welche Bücher wir lesen (oder eben nicht), welche Filme oder Interviews wir schauen, …
Wenn wir unser Potenzial entfalten und sinnvoll wirken wollen, dann müssen wir uns auf jene Menschen und »Felder« ausrichten und einlassen, die uns darin stärken, die beste Version unserer selbst zu sein und die Werte zu vertreten, die wir wirklich, wirklich wollen.
Wenn etwas »auf uns übergeht« …
Auch bei den Summit-Interviews habe ich mich gefragt, was eigentlich die doch erstaunliche Wirkung ausmacht (immer wieder schreiben mir Menschen, wie sich ihr Leben verändert hat … und auch ich merke, dass ich nach einem Summit nicht mehr derselbe bin).
Oberflächlich betrachtet geht es in den Interviews um die Ebene der Worte. Was zum Beispiel ein Frédéric Laloux über seine Arbeit und sein Leben sagt… das ist auf einer rationalen Ebene äußerst interessant und im besten Fall wirklich anregend.
Aber dann gibt es noch etwas anderes, das tiefer geht, nämlich Frederic als Person und wer er geworden ist. Vielleicht kann ich das so beschreiben: Wenn ich mich wirklich offen auf ihn einlasse und in Resonanz gehe, dann bringt sein Wesen etwas in mir zum Klingen. Wenn in ihm etwas heil ist, wenn in ihm etwas mutig ist… dann stärkt das die Teile in mir, die heil oder mutig sind.
Wenn wir jetzt mit Frederic und anderen Pionier*innen ein Feld aufbauen, die nicht nur sagen »yes we can«, sondern »yes, we do« – und wenn nun diese Menschen den Wandel sogar richtiggehend verkörpern im Sinne von »yes, we are« … dann entsteht eine Kraft, die überspringen kann. Eine Veränderung, die wirklich tiefgreifend ist.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Vimeo. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenAusschnitte vom »Pioneers.Connect«-Webinar vom 17.4.2023 » mehr
Wie ein Feld auf uns wirkt
In diesem Sinne hat auch Vivian Dittmar beim INSPIRAthon 2019 solche Phänomene von »Potenzialentfaltungsfeldern« beschrieben:
Das Feld ist ein Wissensspeicher. Zum Beispiel fällt es leichter, eine Fertigkeit oder eine Verhaltensweise zu erlernen, wenn sie schon viele andere Menschen praktizieren und verinnerlicht haben. Menschen können sich mit dem Feld der Pioneers of Change in Verbindung setzen und Informationen »herunterladen«. Sie kommen in diesen neuen Kontext und spüren sich selbst anders. Das Feld ermöglicht ihnen neue Empfindungen, Sichtweisen sowie das Erlernen ko-kreativer Kulturtechniken.
Aus dieser Perspektive bekommt die Qualität unseres »sozialen Wärmefelds« bei den Pionieren des Wandels eine entscheidende Bedeutung. Das dahinterliegende WIE ist vielleicht das eigentlich Wirksame jenseits von Inhalt und WAS.
»Glück und Gesundheit sind keine individuellen Phänomene – sondern kollektive Phänomene« – sagte dazu Natalie Knapp. »So bilden sich Inseln von Glück und Gesundheit« – das entspricht genau dem wichtigen Begriff, den uns die Systemwandel-Expertin Margret Wheatley geschenkt hat: »Islands of Sanity«.
Wenn ich meinen eigenen Entwicklungsweg reflektiere, dann sehe ich: Es hat einen entscheidenden Unterschied gemacht, dass ich ein Feld hatte, in dem ich immer wieder andocken konnte – bis ich es mit Menschen in meinem Umfeld stabiler für mich »halten« konnte und um mich herum »Inseln der Gesundheit« entstanden sind.
Das Feld der Pioneers
Uns begeistert, welch bestärkendes Feld bereits rund um die Pioneers of Change gewachsen ist – ein Feld, das für Potenzialentfaltung steht, für authentisches in der Welt Sein, für einen Geist von einfach Ausprobieren und Beitragen und im Dienst sein für einen positiven Wandel.
Wir laden jetzt neu dazu ein, Teil unseres Feldes zu werden! Als Pioneers.Member kannst du nahe dran an unserem Kern sein und sowohl beitragen als auch die Kraft unserer Community für dich nutzen.
Wie wir die Qualität und Kultur von Teams und Gruppen bewusst prägen und gestalten können – dabei geht’s in Hosting für Kulturwandel.
Vielleicht sind diese Fähigkeiten ein Schlüssel für unsere Zukunft. Denn was wäre, wenn wir die Kunst erlernen, eine Kultur von wacher Warmherzigkeit und Potenzialentfaltung in unsere Lebensumfelder zu bringen? In Gemeinderäte, in Unternehmen, in Schulen, in Parlamente?
Es ist so viel möglich … lasst uns gemeinsam vorangehen!
11 Kommentare zu „Was wirkt da?“
Danke lieber Martin “wenn etwas auf uns übergeht”…
seit ich 2008 aus“ANDERS DENKEN LERNEN“ by Natalie Knapp lernen konnte, begann der Wandel mit dem Blick auf/in Einbildungen und Täuschungen auf illusionäre Oberflächen.
„Ich darf mir nicht einbilden, dass ich jahrelang in einer „Höhle des Löwen“ sein kann und dies keinen Einfluss auf mich hat.“
Danke Martin für den wertvollen Beitrag von Natalie Knapp, wie Felder und Netzwerke Kraft in der Gemeinschaft entwickeln können. Es ist schön zu hören, dass 25 % der Anteile individuellen Ursprungs und 75 % Kräfte im Feld der Gruppe gebündelt werden.
Mir ist es aus meiner Lebenserfahrung als „Kriegsdienstverweigerer“ in jungen Jahren, als Arzt und Begleiter meiner Patienten und Mitarbeiter und jetzt als Begleiter von Menschen bei Erkenntnissen und Prozessen in Systemaufstellungen wichtig mit meinen 25 % Anteilen an diesem Gruppenprozess, in diesem Feld beizutragen und den anderen 75 % aktiv teilzuhaben.
Dabei geht es mir besonders um die 25 %, die die neuen Impulse in die Gruppe einbringen, die Kritik einbringen, die Demokratie ermöglichen, also im Grunde um meine „Innere Stimme“, mein Gewissen, mein Leben – das von mir gelebt werden will.
Ich möchte gerne viele Menschen ermutigen, diese eigene „Innere Stimme“ zu erkennen, zu erfahren und auch Unterschiede zu anderen Stimmen zu fühlen und zuzulassen.
Hallo zusammen, ich stimme im großen und Ganzen zu. Gleichzeitig ist es schwierig, wenn das persönliche Umfeld kein Interesse hat sich zu entwickeln. Führt zu Einsamkeit, die sich mal mehr mal weniger zeigt. Online ist ja schön…. persönliche Kontakte nicht zu ersetzen.
Wie siehst du das?
Grüße Katrin
Hallo Katrin,
mir geht’s genauso… Diese online Veranstaltung von Pioneers of Change sind anregend, aufmunternd, etc.
Allerdings kein Ersatz für wahre Begegnungen.
Ich tue mich auch schwer meinen kleinen Kreis zu erweitern neue inspirierende Menschen kennenzulernen die mir gut tun, mich fördern und fordern.
Wenn dann noch körperliche Einschränkungen gegeben wird es noch schwerer.
Ich sichte gerade meine Beziehungen und Kontakte genau nach diesen Kriterien , ob und was für mich förderlich ist. Im Moment begegnen mir auch viel neue Menschen, die mir unendlich guttun, denn ich wache immer noch auf aus der Coronawüste..
Hoffnungsvoll
Birgid
Sehr interessanter Beitrag. Ich spüre inzwischen auch mehr, wer/was mir gerade gut tut und wer/was gerade nicht und richte mich viel mehr danach.
……..ich denke.,ich werde “Pioneers of Change“ ¬ Förderin und widme dies meinem jüngeren Bruder Martin, der letztes Jahr verstarb, während ich zum ersten Mal an Eurem Summit teilnahm.
Die tragende Qualität dieses beonderen Feldes hat mich in meinem Trauerschmerz immer wieder aufgerichtet , getröstet und ermutigt…….
Diese Erfahrung möchte ich auch vielen anderen ermöglichen…..was ganz im Sinne meines Bruder ist….denn er war auf seine Weise auch ein “pioneer of change“….
Danke von Herzen für Euer unermüdliche Engagement, für Euren Anspruch an Euch selbst und für Euer Vorbild,
Dagmar
…..und nun ¬ BIN ich “Förderin“ 🙂 es fühlt sich für mich stimmig an und mein Herz tanzt vor Freude…..JA… “i walk my talk“ 😉
In liebevoller Erinnerung an meinen Bruder <3
Dagmar
Danke, Martin, für deinen wertvollen Beitrag.
Ich habe in meinem schon langem Leben erfahren, wie wichtig meine Umfeld für mich ist. Durch die Coronakrise ist mir das allerdings noch mehr zu Bewußtsein gekommen. Über einen Kontakt zu einer Person, deren Petition ich im März 2020 unterzeichnet habe, habe ich Pioneers of change kennengelernt und bin seither mit euch verbunden.
Es ist ein großes Glück für mich, dort Menschen zu finden, die mir Mut machen und die mich stärken und mit denen ich im Gleichklang fühle.
Danke dafür, danke für euer großes Engagement!
Christina
Meine Gedanken zum Blog-Artikel „Was wirkt? – Die Kraft von sozialen Feldern oder warum das Ganze stärker ist als die Summe der einzelnen Teile…“
Der systemische Soziologe Niklas Luhmann definiert ein System nicht mehr aus der Summe seiner Teile und deren Beziehungen untereinander, sondern als eine 2-Seiten-Form: Auf der Innenseite der Form befindet sich das betrachtete System, auf deren Außenseite dessen Umwelt. Die Form selbst stellt die Beziehung zwischen den beiden Seiten dar.
Nach den beiden Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela (Baum der Erkenntnis) gehört es zum Wesen eines lebenden Systems, dass es selbst eine Grenze zwischen sich und seiner Umwelt sieht und diese durch eigene interne Prozesse aufrecht erhält. Trotzdem bleibt es über seine Strukturen selektiv mit der Umwelt gekoppelt und ist gezwungen, bei Veränderung der Umwelt auf diese zu reagieren, um seine Verträglichkeit mit der Umwelt zu bewahren, damit es als Individuum überleben kann.
Fritz B. Simon erklärt das Verständnis von Maturana & Varela von Lebewesen in seinem Buch „Die Kunst nicht zu lernen“ so: „Sie wenden eine funktionelle Betrachtungsweise an und unterscheiden nicht zwischen biologischen und geistigen Strukturen. Wenn man deren Funktion für das Überleben betrachtet, gewinnen Kognition, Erkenntnis, Wissen und Leben eine synonyme, gegenüber unserem umgangssprachlichen Gebrauch abweichende Bedeutung: Ein kognitives System ist ein System, das in einem bestimmten Interaktionsbereich zum Zweck der Selbsterhaltung handeln kann.“ (Simon, 1997, S.151)
Dass jedes Lebewesen auf der Welt ein Individuum sein will, scheint demnach ein Hauptcharakteristikum seines Wesens zu sein. Es braucht die Umwelt zum Leben, bestimmt aber selbst, wie es mit ihr umgeht. Durch die Tatsache, dass es lebt, beeinflusst es seine Umwelt und wird von ihr beeinflusst. Aber keine Seite ist in der Lage, die andere zu kontrollieren.
Was uns als Menschen anbetrifft, so brauchen wir etwa 7 Jahre, um als Individuum eine Persönlichkeit zu entwickeln, mit der wir uns identifizieren. Fortan geht es nicht mehr nur um unser physisches, sondern auch um unser psychische Überleben als Individuum. Deshalb verteidigen wir unsere selbstgeschaffene Identität, sobald wir sie als bedroht empfinden.
Die Folge davon ist, dass wir dadurch unsere Lernfähigkeit selbst begrenzen: Alles Lernen, das die Veränderung unserer Identität mit sich bringen würde, suchen wir zu vermeiden, weil wir Angst haben, uns selbst zu verlieren. Nach Simon haben wir mit der Entwicklung unserer Persönlichkeit gleichzeitig die Kunst erlernt, nicht zu lernen.
Wir vergessen dabei, dass wir Teil eines größeren Ganzen sind, denn das Überlebenssystem besteht aus System und Umwelt. Wenn wir bei dem Versuch, als Individuum zu überleben, nur uns selbst im Blickfeld haben, kann es passieren, dass wir unsere natürliche und soziale Umwelt zerstören und damit auch unsere eigene Lebensgrundlage. Das scheint derzeit in den Gesellschaften auf der Welt zu geschehen.
Den Ausweg sehe ich in einer Erweiterung unseres Bewusstseins. Wir müssen verstehen lernen, dass wir nicht dem Leben gegenüberstehen, sondern dass wir es dadurch mitgestalten, dass wir es durch die Brille unserer Persönlichkeit wahrnehmen und aus dieser Wahrnehmung und Erfahrung heraus handeln.
Da wir uns als Individuum von dem größeren Ganzen abgrenzen und uns als „Ich“ bezeichnen, bleibt als Rest nur das „Nicht-Ich“ übrig, wie es unserer Erwartung entspricht. Alle unsere Mitmenschen, die ihr „Ich“ anders definieren als wir, haben daher auch andere Erwartungen und deshalb lebt jeder Mensch in der Vorstellungswelt seiner eigenen Sichtweise. Jeder nimmt deshalb nur einen Teil wahr und keiner sieht das komplexe Ganze.
Was wir als soziale Realität erleben ist die Einheit der Vielfalt, was Niklas Luhmann als die Wahrnehmung von Komplexität beschreibt. Aber diese Einheit ist keine kohärente Einheit, sondern eben Ausdruck der sich gegenseitig beeinflussenden vielfältigen Sichtweisen.
Um als kohärente Einheit wirkungsvoll handeln zu können, müssten wir uns als Teil des größeren Ganzen verstehen und eine gemeinsame Identität entwickeln. Das kann aber nur geschehen, wenn wir beginnen systemisch zu denken. Systemisch Denken bedeutet, dass wir andere Sichtweisen nicht länger als Gegensätze sehen, sondern sie als Facetten betrachten, die wir, wie bei einem Puzzle, zu einem größeren ganzheitlicheren Bild zusammensetzen können.
Wenn wir eine solche individuelle „Soziale Innovation“ als unsere gemeinsame Aufgabe betrachten würden und jeder dabei seinen Beitrag, nicht nur als seine Aufgabe, sondern auch als seine Verantwortung verstehen würde, dann würde dies zu einer Transformation der Beziehungen im mitmenschlichen Umgang führen, was in der Folge zu einem Kulturwandel führen würde.
Wilfried
……herzlichen Dank, Wilfried, für das Teilen Deiner Ausführungen und Deiner Betrachtungsweise…..Du hast mich damit sehr zum Denken angeregt…..für mich ist jedes soziale Feld bzw. sind meine mich umgebenden Systeme, in die ich eingebettet bin, auch Erfahrungsräume, wo ich erleben kann bzw.wir miteinander erleben können ¬ fühlend, spürend,denkend, tuend ¬ wie Bedingungen auf uns,die Mitlebewesen usw wirken und ich / wir auf sie und warum…da können wir miteinander ……auch Theorien und Haltungen überprüfen…..und gegebenenfalls dann auch verwerfen……wir können sie bewußt gestalten…….das bedeutet Kulturwandel für mich auch…..
Nochmals danke für Deine Denkanstöße & herzliche Grüße,
Dagmar