Eine Person sitzt auf einer Bank mitten im Grünen und Blick in die Ferne

Strategisches Unbehagen – dein Weg in die Freiheit

Hemma schreibt über ihre Erfahrungen mit dem bewussten Verlassen der eigenen Komfortzone, warum das Sprengen innerer Grenzen nichts bringt und wie wir den Umgang mit Unbehagen üben können.

Es war ein Dienstagmorgen, als ich aufwachte und mich erinnerte: Heute ist Cello-Vorspiel-Abend! Meine Lehrerin hatte mich schon vor Wochen eingeladen, spontan mitzuspielen, wenn ich möchte. Ich hatte es einfach „vergessen“, aber jetzt war es plötzlich wieder da!

Ich steige ein ins Gedankenkarussell:

Ich habe noch nie vor fremden Menschen Cello gespielt! Ich habe die letzte Woche nie geübt! Ich blamiere mich nur!
Aber etwas in mir sagte: Du MUSST das jetzt machen. Du kannst nicht immer anderen von Mut erzählen und jetzt kneifen!

Die Stunden darauf waren eine Hochschaubahn: ich hab zu- und wieder abgesagt … Dann: ich geh doch hin und nehm das Cello mit, um spontan zu entscheiden.

Ergebnis: ich spielte ohne Probe vor 70 Leuten – und es war überhaupt nicht perfekt, es war sogar nicht einmal gut.

Aber: Es war so GUT, dass ich es gemacht habe! Ich ging von der Bühne – und ich fühlte keine Scham. Es war ruhig und kühl in mir.

Und dann stieg eine unbändige Lebendigkeit und Freude in mir auf – ich habe es gewagt und mich unperfekt gezeigt! Ich habe die Komfortzone der souveränen, routinierten Hemma verlassen – und ich habe Leben gewonnen … Was für ein Glücksgefühl!

Zwei Frauen spielen konzentriert Cello vor Publikum

Der innere Kleingarten – unsere Komfortzone

Jede:r von uns hat so eine Komfortzone – da wo wir unseren inneren „Kleingarten“ eingerichtet haben. Alles bekannt, alles sicher. Wir begnügen uns mit ein bisschen Freundschaft, ein bisschen Freude bei der Arbeit, ein bisschen Sex, ein bisschen Urlaub.

Ist das wirklich alles? Und warum verlassen wir ihn nicht einfach? Weil dieser innere Kleingarten streng bewacht wird! Von den Wächter:innen, die uns mit mahnender oder süßer Stimme einreden, dass doch alles in bester Ordnung ist und Veränderung gefährlich und sinnlos, zum Beispiel:

Du kannst doch nicht einfach… Sei nicht so undankbar! Das kannst du doch nicht! Mach dich doch nicht lächerlich! Du hast es doch so gut grade! Überfordere dich nicht… Das tut dir nicht gut …

Du kannst diese Liste sicher mit unzähligen eigenen Beispielen fortsetzen… Diese alten Stimmen („Super-Ego-Stimmen“) meinen es gut mit uns. Sie wollen uns vor Gefahren und Verletzungen schützen. Sie schützen uns wie kleine Kinder.

Aber wenn wir dort bleiben, verändert sich nichts, denn diese Stimmen halten uns klein! Und das Leben fühlt sich irgendwie lau an oder fast wie eine milde Krankheit

Die Grenzen sprengen … führt in die Panikzone!

Bis in die 80er Jahre war man besonders in der Selbsterfahrungsszene überzeugt: Wenn wir uns befreien wollen, müssen wir die inneren Grenzen sprengen! Mit Karacho alle Tabus brechen!

Doch die Erfahrung lehrt: so eine Art der Grenzüberschreitung bringt letztlich nichts. Denn unser Nervensystem gerät in Panik, friert ein, erstarrt. Wir blockieren in der Überforderung und verharren in der Panikzone. Und das verhindert Lernen und Wachstum, weil die Wächter:innen dann die inneren Grenzen noch strenger kontrollieren.

Strategisches Unbehagen – der Weg in die Freiheit

Aber dazwischen – da liegt unsere Lern- und Wachstumszone! Dort ist es nicht immer angenehm, aber immer aufregend …

Und uns demabsichtsvoll  auszusetzen, macht uns innerlich frei und unglaublich lebendig. Die Summit-Speakerin Miki Kashtan nennt das strategic discomfort – strategisches Unbehagen:

Wenn mein Unbehagen gerade so groß ist, dass ich weiterhin präsent sein (…) kann, dann ist es nützliches Unbehagen. Strategisches Unbehagen ist notwendig, um die Kluft zwischen Commitment und Handlungsfähigkeit zu überbrücken. Wenn mein Commitment stark ist und meine Fähigkeiten hinterherhinken, dann kann ich die Lücke schließen, indem ich einen Weg finde, der genug Unbehagen bietet, um meine Fähigkeiten zu erweitern, ohne mein Nervensystem zu überfordern (zum Beitrag). 

Das ist also der Weg in die Freiheit: Du entscheidest bewusst, dich in ausreichend herausfordernde, aber nicht überfordernde Situationen zu begeben. Ja, das kann Unbehagen auslösen! Und ja, das gehört dazu.

Die Herausforderung sollte so sein, dass sie dich wach macht und du gleichzeitig noch präsent und offen bleibst.

So erweiterst du liebevoll deine inneren Grenzen. Oder wie es Miki ausdrückt:

Akzeptiere deine Grenzen und arbeite gleichzeitig daran, sie zu erweitern.

So verlieren die inneren Stimmen, die uns klein machen, die Macht über unser Leben. Schau dir dazu auch dieses Video mit Miki Kashtan an (wir haben auch Untertitel erstellt):

Miki kashtan über innere grenzen

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„Sichere Räume“ bedeutet nicht …

Übrigens: In Seminarkontexten wird oft davon gesprochen, dass Menschen einen „sicheren Raum“ (save space) für ihre Entwicklung brauchen. Ja, unbedingt! Aber damit ist nicht gemeint, dass das ein Raum ohne unangenehme Gefühle ist.

Im Gegenteil: Wenn es einen sicheren Raum gibt, dann werden wir fähig, auch mit unangenehmen, schwierigen Gefühlen umzugehen, uns damit zu konfrontieren. Lernen und Wachsen bedeutet dann, mit diesem Unbehagen („strategic discomfort“) präsent zu bleiben und damit zu entspannen.

So kann der erwachsene Teil in uns die verletzten, verängstigten, meist kindlichen Teile in uns beruhigen. Das erweitert die Grenzen und führt in die innere Freiheit.

Das wissen übrigens auch alle, die schon mal bei RISE! mit dabei waren – unserem Selbstermächtigungstraining.

Unser Kollege Kewin Comploi-Taupe, der dieses „Out of the Box-Format“ aus den Niederlanden nach Österreich gebracht hat, hat den Weg vom „Opfer-Dasein“ in die eigene Lebendigkeit im eigenen Leben intensiv erforscht. Im Summit-Interview erzählt er seine Geschichte.

INTERVIEW mit KEwin Comploi-Taupe

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Auf in die Lebendigkeit!

Lebendigkeit entsteht also da, wo du dich selbst dabei begleitest, neugierig deine Grenzen auszuloten und damit zu wachsen. Oder wie es die Philosophin Ariadne von Schirach im Summit-Interview so wunderbar sagte:

„Wir Menschen sind auf Wachstum ausgerichtet. Aber was wir jetzt brauchen, ist nicht mehr Wachstum im Außen, sondern im Innen.“

Wenn du also in nächster Zeit keinen Vorspielabend hast, dann komm zu RISE! und wage den Sprung in deine eigene Lebendigkeit!

Ich freu mich über deinen Kommentar zu diesem Beitrag!
Deine Hemma

(DANKE an Hellwig Bali Schinko und Regina König vom ARUNA-Institut, von denen ich sehr viel zu diesem Thema gelernt habe.)

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Hemma & Martin | Pioneers of Change

Hemma & Martin

2 Kommentare zu „Strategisches Unbehagen – dein Weg in die Freiheit“

  1. Kirstin Habringer

    Vielen Dank für die ehrlich Worte. Sie inspirieren mich sehr, auch mich immer wieder aus der !sicheren” Komfortzone zu bewegen.
    Wie schön, dass du das geschafft hast!

  2. Heinloth-Warkotsch, Eva

    Ich konnte mit deiner lebendigen Erzählung viel anfangen. Werde mich weiter mit den “Komfortzonen” befassen. DANKE, liebe Hemma. Eva

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